Auge des Mondes
entlassen.«
Erst draußen im grellen Licht des Mittags kam Mina zu Bewusstsein, was der Satrap soeben gesagt hatte. Ameni war frei - sie hatte sich ganz umsonst vor Aryandes ins Zeug gelegt. Sogar ihre kostbare Münze hatte sie leichtfertig geopfert, Numis Geschenk, das der Satrap wie ein wertloses Spielzeug seinem dunkelhäutigen Günstling zugeworfen hatte.
Aber wenn Ameni frei war, wo steckte er dann?
Sie würde es bald erfahren. Wenn nicht von ihm selber, dann von seinen Eltern, die diese erlösende Neuigkeit sicherlich nicht lange für sich behalten konnten.
Mina griff sich an die Stirn, taumelte und wäre vor Erleichterung und Erschöpfung womöglich noch in den Staub gefallen, hätte Numi sie nicht gerade noch gehalten.
»Alles in Ordnung?« Er musterte sie besorgt. »Hat er dich schlecht behandelt? Oder sogar bedroht?«
»Ja.« Mina nickte, verwirrt über Numis Nähe, nach der sie sich doch die ganze Zeit über gesehnt hatte, und machte sich los. »Nein, hat er nicht. Er war nur … sehr, sehr seltsam. Dieser Aryandes kann einem vielleicht Angst einflößen! Dabei hätte ich ihn - das hab ich leider erst ganz am Schluss erfahren - gar nicht mehr aufsuchen müssen.«
»Weshalb?« Jetzt war es Numi, der vor Verwunderung groß schaute.
»Unsere Familienangelegenheit hat sich gewissermaßen von selber erledigt.« Mina versuchte ein Lächeln, das misslang. »Ich kann also nach Hause gehen.«
»In diesem Zustand? Kommt nicht in Frage!« Ohne sich um ihre Proteste zu kümmern, nahm Numi ihren Arm und führte sie, fürsorglich und behutsam, wie man es bei Kranken oder alten Menschen tut.
»Wohin bringst du mich?«, fragte sie, als der Markt schon hinter ihnen lag.
»In mein Haus. Dort werden die Frauen sich um dich kümmern.«
Mina blieb auf der Stelle stehen. »Die Frauen? Aber das will ich nicht!«
»Wer sonst sollte dich baden, massieren und verwöhnen?«, entgegnete Numi mit einem kleinen unverschämten Lachen. »Danach bekommst du eine leichte Mahlzeit - und wirst dich königlich fühlen!«
Mina war zu ausgelaugt, um sich gegen diese Einladung zu wehren. Und sie musste zugeben, dass seine Worte eine gewisse Neugierde in ihr geweckt hatten. Neulich war es dunkel gewesen, als sie sein Haus betreten hatte. Im Glanz des Mittags aber sahen die Dinge manchmal ganz anders aus.
Die weißhaarige Dienerin öffnete auf Numis Klopfen. Gleich hinter ihr lugte das Mädchen mit den Himmelsaugen um die Ecke.
»Beeil dich, Prinzessin«, befahl Numi, »unser Gast braucht Ruhe und Geborgenheit! Bringt Mina in die Baderäume, damit sie sich erfrischen kann. Du wirst dich bei mir nach einem geeigneten Öl umsehen, während Nebet sich um das Wasser kümmert. Wo stecken denn die anderen?«
»Auf dem Markt«, sagte das Mädchen. »Zu einem großen Einkauf. Unsere Vorräte waren nahezu aufgebraucht.«
Geschickte dunkle Hände halfen Mina aus den verschwitzten Sachen. Was für eine Wohltat, sich von der Perücke zu befreien und sich danach mit einem weichen, ölgetränkten Tuch die Schminke vom Gesicht zu wischen! Die weißhaarige Nebet reichte ihr ein großes Tuch, in das sie sich wickeln konnte, während sie dabei zusah, wie die Alte Wasser aus verschiedenen Behältnissen in ein tiefer gelegenes Becken goss, bis es gut gefüllt war. Dann nickte die Dienerin ihr aufmunternd zu.
»Es liegen frische Kleider für dich bereit«, sagte sie. »Ich denke, sie müssten dir passen.«
Mina stieg vorsichtig ins Becken. Es war nicht ihr geliebter Teich, dessen kühles Nass sie hier umhüllte, aber sauberes, angenehm temperiertes Wasser, das alles wegwusch - die Angst, die Scham, die Unsicherheit. Sie schloss die Augen, überließ sich dem Schweben, dem Fließen.
Zwischendrin ging die Türe. Unwillkürlich glitten Minas Hände zu ihren Brüsten. Als sie sah, dass es Numis Tochter war, ließ sie sie wieder sinken. Was machte es schon, wenn die Kleine eine kurze Bestandsaufnahme der Fremden vorhatte? Seit der nächtlichen Inspektion besaß Mina genügend Selbstvertrauen, um solchen Blicken standzuhalten.
»Ich hab dir Rosenöl mitgebracht«, hörte sie das Mädchen wispern. »Ich finde, das passt am besten zu dir. Leg dich auf die steinerne Liege, sobald du fertig bist. Nebets Hände solltest du dir keinesfalls entgehen lassen!«
Es war genauso, wie die Kleine gesagt hatte. Die alte Dienerin lockerte Minas Muskeln und schaffte es sogar, den seit Längerem ziemlich steifen Nacken wieder geschmeidiger zu bekommen. Mit jedem
Weitere Kostenlose Bücher