Auge des Mondes
muss, aber ein verlaustes, schwaches Vieh, das Mäuse verschlingt mit Haut und Haar?«
Angeekelt schüttelte er sich. Der kleine Nubier begriff augenblicklich, was zu tun war. Auf einem silbernen Teller brachte er ein zusammengefaltetes Leinentuch, mit dem Aryandes sich kurz die Stirn betupfte, bevor er es zu Boden fallen ließ.
In Minas Kopf überschlugen sich die Gedanken. Was sollte sie antworten, um seiner Verachtung angemessen zu begegnen, ihn aber gleichzeitig nicht noch wütender zu machen? Und weshalb fragte er ausgerechnet sie? Sie war doch kein Priester, der im Tempel der Gottheit diente, sondern lediglich eine Frau, die Märchen erzählte, um die Menschen zu unterhalten!
»Die Gottheit hat vielerlei Gesichter«, begann sie schließlich. »Weil sie so groß ist, so mannigfaltig, so unfassbar …«
»Und kann für euch hier in Kemet erstaunlicherweise schon mal die Fratze eines Pavians, das stinkende Maul eines Krokodils oder die sabbernde Schnauze eines Köters haben.« Wieder ließ er sie nicht weitersprechen. »Ich weiß. Ich weiß. Aber wie kommt ihr darauf? Wieso ausgerechnet diese minderwertigen Kreaturen - und wieso zu allem auch noch eine Katze?«
»Bastet zeigt sich nicht nur als Katze«, versuchte Mina noch einmal ihr Glück. Wie konnte er nur die wunderbaren Geschöpfe, die zudem in den Kornspeichern so nützlich waren, für minderwertig erachten? Er wusste nichts über sie und die wichtige Arbeit, die sie für die Menschen verrichteten, nur so ließ sich diese Fehleinschätzung halbwegs erklären. »Das ist lediglich ihre sanfte, ihre weiche Seite. Doch sie besitzt auch eine andere. Dann wird sie zu Sachmet, der mächtigen Löwin, die mit einem einzigen Prankenschlag alles Leben zermalmen kann.« Was hatte Senmut bei ihrem Besuch im Tempel gesagt?
»Zornig wie Sachmet«, wiederholte sie nun dessen Worte, »süß wie Bastet. Sie , die größte aller Göttinnen, birgt alle Geheimnisse in sich.«
»Und wie sollte ein Monstrum mit einem Tierkopf das bewerkstelligen?« Er war aufgesprungen, so erregt war er nun offenbar. »Gott ist Licht, Energie. Schöpfung. Gott ist Feuer!« Aryandes riss seine dicken Arme hoch. »Das ist der Gott, zu dem wir beten, der Einzige, der es verdient! Ihr aber beugt eure Knie vor Katzen und Hunden, vor Affen und Flusspferden …«
Jetzt begann Mina zornig zu werden. Und wenn das geschah, konnte sie jede Hemmung verlieren.
»Vergesst die Krokodile nicht, Herr«, sagte sie bissig.
»Die Käfer. Vor allem aber die Ibisse!«
»Weshalb erwähnst du ausgerechnet jene Vögel?« Seine mit Ringen überladenen Hände sanken kraftlos herab. »Gibt es dafür vielleicht einen besonderen Grund?« Sein Blick war inzwischen offen feindselig. »Könnte es sein, dass du damit andeuten willst, sie würden ausbleiben, jetzt, wo ich die Regierungsgeschäfte in Kemet führe? Dann wärst du freilich nicht die Erste, die diese unverschämte Anspielung gewagt hätte.«
»Welche Anspielung, Herr?« Sie spielte mit dem Feuer. Vielleicht sogar mit dem Leben. Aber das alles war noch immer besser, als sprachlos und ohnmächtig vor ihm zu stehen. »Sie sind ebenfalls Tiere. Ich hab Eure Liste lediglich ergänzt.«
Schwer atmend ließ Aryandes sich auf den Stuhl zurücksinken. Sein Gesicht hatte jegliche Farbe verloren, wirkte fahl und welk.
Mina erstarrte. Hatte sie jetzt endgültig alles verdorben? Von Ameni war schon längst keine Rede mehr. Bedeutete das, dass jede Hoffnung vergebens war?
Sie nahm allen Mut zusammen, ignorierte, so gut es ging, die Schweißbäche auf ihrem Rücken ebenso wie das widerliche Gefühl, dass die Schminke unaufhaltsam dahinfloss und sie schon längst nicht mehr schmückte, sondern nur noch entstellte. Wie hatte sie sich nur so lächerlich ausstaffieren können? Sedi war ein Idiot, das hatte er mit seinem sinnlosen Geschwätz über den riesigen Harim des Satrapen und seine unstillbare Gier nach frischem Weiberfleisch aufs Neue bewiesen.
Aryandes machte sich nichts aus Frauen. Gar nichts. Die wollüstigen Blicke, mit denen er ab und an seinen kleinen Nubier verschlang, hatten ihr genug verraten.
Mina straffte sich. »Was also meinen Neffen betrifft, Herr …«
»Deinen Neffen? Welchen Neffen?«
Es schien noch schlimmer zu stehen, als sie befürchtet hatte. Offenbar erinnerte er sich nicht einmal mehr an seinen Namen.
»Ameni.« Mina war erstaunt, wie fest ihre Stimme klang. »Sohn des Rahotep.«
»Ameni? Den haben wir bereits heute Morgen
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