Auge des Mondes
das? Tagelang warst du wie vom Erdboden verschluckt, bis wir endlich mühsam herausbekommen haben, wo du stecken könntest. Und danach haben unsere Sorgen erst richtig angefangen. In den Garten des Satrapen einzusteigen wie ein Dieb! Was hast du dir nur dabei gedacht, Ameni?«
Er zuckte die Achseln. »Ich hab’s ganz gut überlebt, wie du siehst. Aber was viel wichtiger ist: Ich bin verliebt! Und Asha liebt mich auch. Ich hab sogar einen Brief von ihr erhalten. Keine Ahnung, wie sie ihn heimlich einschmuggeln konnte, aber irgendwie ist es ihr doch gelungen, meinem schönen, klugen, meinem einzigen Liebling.«
»Wach endlich auf, Junge!«, sagte Mina. »Dieses Mädchen bringt dir kein Glück, begreif das doch endlich! Du hast noch einmal großes Glück gehabt, den Göttern sei Dank, aber es hätte auch ganz anders ausgehen können.«
»Schon möglich. Die anderen haben mir erzählt, dass Aryandes Leute blenden lässt. Oder dass sie die Hand abgehackt bekommen, wenn sie etwas gestohlen haben. Aber das hatte ich ja nicht.«
»Immerhin bist du unerlaubt in seinen Garten eingedrungen. Mit einem Binsenmesser!«
»Chais altes Messer, das du mir geschenkt hast. Dass sie es mir abgenommen haben, schmerzt mich am allermeisten. Aber ich musste doch! Ich hatte keine andere Wahl. Weil sie dort war, sie, meine Asha …«
Sein Blick wurde träumerisch. Dann packte er Mina plötzlich an den Handgelenken und ließ sie nicht mehr los.
»Kann ich bei dir wohnen?«, fragte er unvermittelt. »Wenigstens für ein paar Wochen. Bitte! Du wirst mich gar nicht bemerken, so vorbildlich werde ich mich benehmen.«
»Warst du denn überhaupt schon zu Hause?«, fragte Mina.
Amenis Miene verfinsterte sich. »Sie behandeln mich immer noch wie einen Vierjährigen. Nichts als Schelte und Vorhaltungen, nichts als tausenderlei Ermahnungen. Lass jenes, tu das nicht, pass auf, dass du bloß nicht … Vater tobt, und Mutter heult - ich kann es einfach nicht mehr ertragen!«
»Die beiden sind vor Angst um dich halb gestorben«, sagte Mina. »Sie lieben dich sehr und …«
»Kann ich oder kann ich nicht?« Er fing an, um sie herumzuspringen wie ein übermütiger junger Esel. »Du musst ja sagen, bitte, bitte!«
Wieder einmal hatte er sie zum Lachen gebracht. Wenn er den Mund verzog und mit den Augen rollte, konnte sie ihm einfach nicht böse sein.
»Wir versuchen es«, sagte sie. »Auf Probe, gewissermaßen. Allerdings nur, wenn du es deinen Eltern beibringst. Mich würden sie vermutlich in der Luft zerreißen, wenn ich sie mit dieser Nachricht überrasche.«
Ameni strahlte. »Dann könnte ich ja vielleicht Chais altes Zimmer …«
»Nein«, sagte Mina rasch. »Chais Zimmer bleibt, wie es ist. Du musst dich schon mit der Kammer begnügen. Zum Schlafen ist sie groß genug. Ich werde Iset bitten, sie für dich herzurichten.«
Sein Lächeln erstarb. Plötzlich wirkte er müde, wie erloschen.
»Was ist los?«, fragte Mina besorgt. Sie redeten hier dummes Zeug - und dabei hatte sie ihn noch gar nicht richtig befragt, wie es ihm während seiner Haft ergangen war! »Hat es etwas mit deiner Gefangenschaft zu tun? Sie haben dich doch nicht etwa geschlagen oder gar …«
Ameni schüttelte den Kopf.
»Außer dass sie mich eingesperrt und immer wieder verhört haben, haben sie mir nichts getan. Aber langweilig war es dort vielleicht, das kann ich dir sagen! Zum Schluss hätte ich mir beinahe die Haare einzeln ausgerissen, so öd war mir zumute.«
Er errötete leicht, trat unruhig von einem Fuß auf den anderen.
»Es ist nur so, dass ich schrecklich hungrig bin. Den Fraß, den sie uns dort zugemutet haben, hätte sogar ein halb verhungerter Schakal verweigert.«
»Iset?« Mina erhob ihre Stimme, aber die Alte war längst ganz in der Nähe, wie stets darauf bedacht, nur nichts zu versäumen.
»Unser lieber Junge ist zurück!« Iset umarmte Ameni innig, und er ließ es sich gerne gefallen. »Und heil und gesund dazu.« Sie trat ein paar Schritte zurück, musterte ihn eingehend. »Aber dünn bist du geworden, beinahe wie eine Binse im Papyruswald. Man kriegt ja richtig Angst, dass du einem unter den Händen wegstirbst, so mager bist du.«
»Ich weiß«, sagte Ameni mit übertrieben zittriger Stimme. »Siehst du denn nicht, dass ich mich kaum noch auf den Beinen halten kann?«
Er schwankte, tat, als würde er im nächsten Moment einknicken. Dann stand er plötzlich wieder kerzengerade.
»Nur zwei Dinge können mich erretten. Das erste ist die Frau,
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