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Auge des Mondes

Titel: Auge des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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geriet zu einem beleidigten Strich. »Wir werden eben zusehen müssen, wie wir auch ohne fremde Hilfe zurechtkommen. Ja, das werden wir!«
    Namen und Positionen - wenn er schon wieder damit anfängt, dann werfe ich ihn auf der Stelle hinaus, dachte Mina. Kein Wort des Dankes, dass sie sich bei Aryandes für den Neffen eingesetzt hatte, auch wenn Ameni zu diesem Zeitpunkt schon wieder in Freiheit gewesen war. Stattdessen nichts als Vorhaltungen und Unterstellungen - sie konnte den Jungen wirklich verstehen.
    »Ameni ist erwachsen und weiß selber, was er tut«, erwiderte sie. »Daran solltet ihr euch allmählich gewöhnen, sonst werden eure Schwierigkeiten mit ihm niemals ein Ende nehmen. Ich habe ihn nicht aufgefordert, hier zu wohnen, aber eines müsst ihr dennoch wissen: Mein Haus und mein Herz werden stets für ihn da sein - und für die, die ihm am nächsten stehen.«
    Wütend schoss Tama auf sie zu. »Soll das vielleicht heißen, dass du dich auch noch zur Kupplerin für meinen Sohn und seine persische Liebschaft aufschwingst? Wenn du uns das antust, Mina, dann ist endgültig …«
    »Ich muss zum Markt.« Die beste Gelegenheit, die beiden zum Schweigen zu bringen. »Begleitet ihr mich noch ein Stück?«
    Es gibt nur ein Märchen, das heute in Frage kommt, dachte Mina, als sie sich mit ungeduldigen Schritten dem Marktplatz näherte, das Märchen, in dem die Klugheit eines winzigen Tiers die dumme Prahlerei des Löwen und damit letztlich auch die Rohheit des Menschen bezwingt.
    Als hätte Sedi geahnt, was sie vorhatte, fand sie ihren gewohnten Platz dreist von ihm belagert. Zur Verstärkung hatte er sich sogar noch den Schlangenbeschwörer mit seiner alten Kobra geholt. Die beiden Männer glotzten sie an wie eine Erscheinung, machten aber keinerlei Anstalten, freiwillig zu weichen.
    »Warst du krank?« Sedi leckte sich die Lippen, sichtlich begierig auf schlechte Nachrichten. »Du siehst ziemlich mitgenommen aus, Mina.«
    »War gar nicht einfach, dem Harim des Satrapen zu entkommen«, erwiderte sie mit unbewegter Miene und registrierte befriedigt, dass er sich langsam zurückzog.
    »Geht ihr beide jetzt freiwillig, oder muss ich erst unangenehm werden?«
    »Du warst bei Aryandes?« Sedi schnappte nach Luft.
    »In seinem Palast?«
    »Eine Begegnung, die ich niemals vergessen werde!«
    »Stimmt es denn, was man sich über ihn erzählt?« Neugierig kam Sedi wieder näher. Er roch ranzig, nach altem Fett; von Wasser und Sand schien er nicht allzu viel zu halten.
    Mina konnte seine Nähe nur ertragen, solange sie die Luft anhielt.
    »Alles«, sagte sie gepresst. »Alles - und noch viel mehr.«
    Keine Antwort, die ihm zu schmecken schien. Sedi packte seinen Kaiman am Halsband und zog ihn lustlos zur Seite. Plötzlich blieb er stehen.
    »Und dein junger Neffe?«, fragte er. »Was ist eigentlich mit dem?«
    »Frei wie ein Vogel.« Sie dämpfte ihre Stimme, dachte an den kleinen Nubier und die lüsternen Blicke des Satrapen, die auf ihm geruht hatten. »Wie könnte es anders sein? Bei den immensen Opfern, die ich für ihn erbracht habe.«
    »Immerhin hast du den entscheidenden Hinweis ja von mir erhalten - vergiss das bitte nicht!«
    »Wir werden dir ewig dankbar sein.«
    Die ersten Frauen mit ihren Körben stellten sich bereits ein, und es wurden langsam mehr und mehr. Mina atmete erleichtert auf. Sie hatten sie nicht vergessen. Noch immer waren sie begierig zu hören, was sie zu erzählen hatte.
    » Das Märchen vom Löwen und der Maus «, begann sie, als der erste Kreis geschlossen war und sich um ihn herum noch ein stattlicher zweiter gebildet hatte. »Es lebte einmal ein Löwe in der Wüste, der war stark und jagte gerne. Das Wild der Berge zitterte in Furcht und Schrecken vor ihm …«
    Sie waren augenblicklich bei der Sache, alle, die da standen, auch wenn doch Minas Freude insgeheim etwas geschmälert wurde, weil sich heute kein Numi unter sie gemischt hatte. Alle hörten aufmerksam zu, wie der Löwe nacheinander dem Panther, dem Esel, der Kuh und schließlich einem alten kranken Löwen begegnete, die alle vom Menschen geknechtet und schlecht behandelt worden waren.
    »In dem Löwen erwachte ein großer Zorn, und er sagte: ›Mensch, wenn du in meine Hand fällst, will ich dir das Leid heimzahlen, das du meinen Gefährten in der Wüste angetan hast!‹«
    Lautes Schluchzen ließ Mina aufhorchen. Benias Großmutter hatte die Hände vors Gesicht geschlagen und weinte bitterlich. Am liebsten hätte Mina sofort ihre

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