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Auge des Mondes

Titel: Auge des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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sich auf den Weg zu Senmut. Beide Männer waren schweigsam; was sonst noch besprochen werden musste, hatten sie schon vorab an einem anderen, günstigeren Ort erledigt.
    »Du weißt, wie jähzornig er werden kann«, sagte Chonsu unvermittelt. »Vor allem, wenn es ausnahmsweise einmal nicht nach seinem Kopf geht. Dann schaut er dich an, als würde er dich im nächsten Moment verschlingen.«
    »Dafür bin ich deutlich zu groß geraten.« Menna stieß ein kurzes Lachen aus. »An mir würde er sich den Magen gründlich verderben - ebenso wie an deiner ätzenden Schärfe, die ihm alle Innereien zerfressen würde. Hör also endlich auf, dich vor ihm zu fürchten! Senmut ist der Erste Sehende der Gottheit - aber wir beide folgen ihm direkt nach. Der Unterschied, von dem du faselst, besteht nur in deinem Kopf.«
    »Aber was er ständig von sich gibt, diese erhabenen Sätze von der Gottheit …« Chonsu war stehen geblieben.
    »Man könnte fast den Eindruck bekommen, er unterhalte sich tatsächlich mit ihr.«
    »Vielleicht tut er das ja sogar«, sagte Menna. »Doch zu uns spricht sie auch. Und du weißt genau, was sie uns befohlen hat!« Er hielt noch einmal inne. »Ich bin sicher, er wird uns wieder nach den Balsamierern fragen«, sagte er. »Du weißt, was du dann zu antworten hast?«
    Chonsu nickte.
    »Mach dir keine Sorgen!«, sagte er. »Ich hoffe nur, es werden nicht allzu viele Fragen sein.«
    Sie setzten sich erneut in Bewegung und rechneten damit, Senmut wie beim letzten Mal in einem der vorderen Höfe anzutreffen. Doch der magere Priesterschüler, von ihm offenbar als Wache eingesetzt, winkte sie weiter.
    Jetzt gelangten sie in den Säulensaal des Tempels. Der hohe, dichte Steinwald beiderseits war und blieb beeindruckend, sogar, wenn man an ihn gewohnt war. Man fühlte sich kleiner und unbedeutend, sobald man diese gewaltige Vorhalle zum Heiligtum betreten hatte; menschliche Belange und Interessen schienen angesichts dieser strengen, kalten Majestät gänzlich in den Hintergrund zu treten.
    »Und du bist immer noch sicher, dass wir keinen Fehler gemacht haben?« Unwillkürlich hatte Chonsu seine Stimme zu einem scharfen Flüstern gesenkt.
    »Mehr als sicher«, bekräftigte Menna. »Nur wer zweifelt, strauchelt. Wer aber unbeirrt glaubt, der kann sein Ziel erreichen.«
    »Nun?« Senmut trat plötzlich hinter einer der dicken Säulen hervor. »Zu welchem Ergebnis seid ihr gekommen?«
    »Du scheinst dich getäuscht zu haben«, ergriff Menna das Wort. »Die Listen sind in Ordnung, so jedenfalls lautet unser Urteil. Könnte es nicht sein, dass du etwas übersehen hast?«
    »Was sollte das sein?«, fragte Senmut.
    Plötzlich saß die Weiße neben ihm, ruhig und majestätisch wie eine Skulptur aus allerfeinstem Alabaster.
    »Die Arbeiten an den Dämmen«, sagte Chonsu schnell.
    »Sie sind äußerst aufwändig und verschlingen jede Menge Silber. Der Tempel hatte sich im vergangenen Jahr doch bereit erklärt, einen besonders großen Beitrag zu leisten.«
    »So teuer kommen uns die Fluten des Nils?« Senmut hatte seine Stimme nicht erhoben.
    Die beiden Priester nickten eifrig.
    »Wir können uns im nächsten Jahr von dieser Verpflichtung zurückziehen«, schlug Menna vor. »Aber nicht heuer - es sei denn, wir wollen unser Gesicht verlieren.«
    »Es ist niemals ratsam, das Gesicht zu verlieren«, erwiderte Senmut, an dessen Bein sich die Weiße rieb. Er bückte sich geschmeidig, nahm sie hoch. Sie ließ es sich gefallen. »Dann kann ich meine Bedenken also für dieses Mal vergessen?«
    »Das kannst du«, sagte Chonsu. Sein rechtes Lid zuckte. Er wischte sich mehrmals über das Gesicht, aber es wollte ihm nicht gelingen, es ruhig zu stellen. »Nach dem Großen Fest werden wir dann …«
    »Lass es uns erst einmal gut verbringen!«, unterbrach Menna ihn polternd. »In unserem Sinn. Was mich betrifft, so kann ich es kaum erwarten, bis dieser Tag endlich angebrochen ist.«
    Senmut versenkte seine Nase grüblerisch in das knisternde Fell der Katze.
    »Ich nehme an, die Balsamierer wissen Bescheid«, sagte er.
    »Das tun sie«, sagte Chonsu. »Wenngleich wir ihnen ab und zu auf die Finger sehen sollten. Sonst landen in den angeblichen Katzenmumien, die die Frauen in großer Menge für harte Deben kaufen werden, nur zerbrochene Vogelknochen und anderes Kroppzeug.«
    »Diese Weiber von außerhalb sind nun mal äußerst anspruchsvoll«, pflichtete Menna ihm bei. »Sie kommen hierher, weil sie auf Wunder hoffen - auch wenn sich diese

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