Auge um Auge - Ein Verehrer schuettete mir Saeure ins Gesicht Jetzt liegt sein Schicksal in meiner Hand
grässlichen Attentaten berichtet. Meist ging es um Männer, die sich aus verletztem Stolz an ahnungslosen Frauen oder jungen Mädchen rächen wollten. Albtraumhafte Bilder geisterten durch die Medien, und mir wurde erst Sekunden nach meiner vermeintlich mutigen Abwehrreaktion bewusst, in welche Gefahr ich mich gebracht hatte. Eine kleine Unbedachtheit, und mein ganzes Leben hätte sich verändern können. Ein schlimmer Gedanke.
Seine Drohung blieb leer – Gott sei Dank! Ich hörte und sah von dem jungen Kerl nie wieder etwas, und das war auch besser so. Selbst wenn er bei meinen Eltern höflich um meine Hand angehalten hätte, wäre seine Mühe umsonst und vergeblich gewesen. Mir stand der Sinn nicht nach einer neuen Freundschaft. Über Amir war ich noch lange nicht hinweg, auch wenn er mir mit seiner fast krankhaften Eifersucht oft genug auf die Nerven gegangen war. Meine Schwester Schirin hatte zu jener Zeit mit einundzwanzig Jahren Said geheiratet, einen Werbefilmproduzenten. Sie schien zufrieden und glücklich zu sein. Ich war es auch. Und zwar alleine! Ich hatte andere Pläne: meinen Schulabschluss machen, einen Studienplatz bekommen und irgendwann einen Traumjob finden. So stellte ich mir damals meine Zukunft vor. Und erst wenn ich all meine Ziele erreicht hätte, würde ich heiraten. Und dann würde ich auf keinen Fall als einfache Hausfrau enden!
Um meine Wünsche zu verwirklichen, brauchte ich zunächst einmal Geld. Wenn ich an einer freien Universität studieren wollte, würde ich meinen Unterhalt selbst bestreiten und auch die Studiengebühren aus eigener Tasche bezahlen müssen. Meine Eltern konnten mich nicht unterstützen. Meine Mutter arbeitete zwar auch in Teheran wieder in einem Kindergarten, und die Rentenangelegenheit meines Vaters war endlich geklärt. Er hatte vier lange Jahre buchstäblich als Behördenleiche verbracht, weil seine verschollene Akte den Hinweis »Bezugsempfänger verstorben« trug. Er bekam endlich wieder Geld vom Staat, aber das Einkommen meiner Eltern reichte gerade, um unsere Familie einigermaßen über die Runden zu bringen.
Als es endlich Schulabschlusszeugnisse gab, war ich mit meinem Durchschnitt von knapp über achtzehn von zwanzig möglichen Punkten mehr als zufrieden und fühlte mich gut gerüstet für die Aufnahmeprüfungen in Elektronik – entweder an einer staatlichen oder an der Freien Universität Teheran. Meine Freundin Mardschan schlug vor: »Lass uns unser Glück erst an der Staatlichen versuchen. Falls das schiefgeht, sehen wir weiter.«
Eisern paukten wir wochenlang gemeinsam den Stoff für den Aufnahmetest und sahen uns im Geiste schon in den Hörsälen sitzen, wo wir uns ganz nebenbei den ansehnlichsten Kommilitonen ausgucken würden, durch dessen täglichen Anblick unser trockenes Studium etwas attraktiver werden würde. Wir träumten und wir lernten … und wir schrieben diese Prüfung.
Je näher die Bekanntgabe der Ergebnisse rückte, desto unruhiger wurden Mardschan und ich. Nur wenige Tage noch, dann würden wir die entsprechende Zeitung kaufen, würden gespannt wie selten sonst mit Augen und Zeigefinger die endlosen Namenslisten überfliegen, uns in der fieberhaften Aufregung mehrfach in der Zeile vertun – und schließlich in Siegesgeheul ausbrechen, wenn der eigene Name dort stünde, schwarz auf weiß, in der Zeitung, für alle Welt sichtbar. So konnten Bekannte, Freunde, Verwandte die Freude über unseren Erfolg mit uns teilen und wussten weitaus schneller Bescheid, als wenn wir sie alle einzeln angerufen hätten.
Doch unsere Träume fanden schon bald ein jähes Ende. Wir hatten beide die Prüfung verpatzt, trotz der ganzen Lernerei. Da half es auch nicht, zwei, drei weitere Zeitungen zu kaufen und nach unseren Namen zu suchen. Wir standen nicht auf dieser Liste, und damit mussten wir uns leider abfinden.
Eine unserer Schulkameradinnen indes hatte einen Studienplatz bekommen. Wir freuten uns mit ihr, aber ein paar Zweifel kamen doch auf. Möglicherweise hatte bei der Entscheidung auch eine Rolle gespielt, dass sie im Golfkrieg zwei Brüder als Märtyrer verloren hatte. Wer dieses schwere Opfer gebracht hatte, kam in den Genuss von Jobs, Studienplätzen oder anderen staatlichen Leistungen. Für das riesige Heer der freiwilligen Basidsch im Krieg waren viele Annehmlichkeiten reserviert.
Ich war durch diesen Misserfolg tagelang so niedergeschlagen, dass meine Mutter mir vorschlug, ich solle doch für eine Weile nach Hamadan zu den
Weitere Kostenlose Bücher