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Auge um Auge - Ein Verehrer schuettete mir Saeure ins Gesicht Jetzt liegt sein Schicksal in meiner Hand

Titel: Auge um Auge - Ein Verehrer schuettete mir Saeure ins Gesicht Jetzt liegt sein Schicksal in meiner Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ameneh Bahrami
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kaum, was ich noch zu ihm sagen sollte.
    »Und was wird aus uns beiden, Amir, was wird aus unseren Plänen?«, brachte ich mit Mühe heraus. Eine Antwort bekam ich an diesem Tag nicht.
    Damals, 1995, lagen knapp vier Jahre Hamadan hinter uns. Meine Mutter wollte zurück nach Teheran, nachdem mein Vater – zurück aus der Nervenklinik – nur noch Haut und Knochen war. Er hatte, wie er selbst sagte, in wenigen Wochen siebentausend Jahre Hölle durchlebt und keine Einwände gegen eine Rückkehr nach Teheran.
    Für Amir allerdings brach eine Welt zusammen.
    »Ohne dich überlebe ich hier nicht«, beteuerte er immer wieder. »Ich bringe nichts zustande, weiß nicht mehr ein noch aus. Aber eines ist sicher: Ich lass dich nicht gehen, Ameneh!«
    Ich blieb also in Hamadan, zog zu meinen Großeltern und hoffte inständig, Amir würde sich wieder fangen und zu seiner früheren Gelassenheit zurückfinden. Doch so oft ich auch beteuerte: »Amir, ich bin deinetwegen in Hamadan geblieben!«, oder ihm drohte: »Amir, du verlierst mich, wenn du so weitermachst!«, oder ihn gar anflehte: »Setz doch unsere Zukunft nicht aufs Spiel!« – es half nichts.
    Amir spionierte mir nach, sprach noch immer davon, dass er mich einschließen würde, damit kein anderer mich bekäme, und schien jeglichen Antrieb, auch jede Selbstachtung verloren zu haben. Meine Angst vor Amir wuchs mittlerweile wohl stärker als meine Liebe zu ihm. So konnte es einfach nicht weitergehen. Ich war inzwischen sogar so weit, mir einzureden, dass er mir bald auch auf dem Schulweg auflauern würde. Eine schreckliche Vorstellung. Eines Morgens, ich war damals 17 Jahre alt, schlug ich in der Frühe die Augen auf und wusste plötzlich, dass ich meiner Familie heimlich nach Teheran folgen würde.
    Ich packte den Rucksack, sagte meinen Großeltern Auf Wiedersehen und fuhr mit dem Bus zurück in die Hauptstadt – schweren Herzens und ohne mich von Amir verabschiedet zu haben. Ich ließ den Mann meiner Träume hinter mir. Den Mann, mit dem ich den Rest meines Lebens hatte verbringen wollen und der nun nicht mehr der Mensch war, den ich einst kennen – und lieben gelernt hatte. Ich war traurig und verzweifelt. Sollte meine Liebe zu Amir, sollte unsere gemeinsame Zukunft mit jener Busfahrt wirklich ihr Ende finden?

9. Weitsicht – Der erste Arbeitsvertrag
    Nun war ich also zurück in Teheran, musste mitten im Schuljahr die Schule wechseln und landete im Fazilat-Gymnasium, einer Lehranstalt mit naturwissenschaftlichem Schwerpunkt. Hier kam ich sehr gut zurecht. Ich brachte eine Belobigung nach der anderen nach Hause und hatte viele gute Gründe, zufrieden zu sein. Aber mein Blick ging immer wieder zurück nach Hamadan. Eine tiefe, gleichwohl ambivalente Sehnsucht bohrte in mir und warf die immer wiederkehrenden Fragen auf. Was macht Amir wohl gerade? Und: Geht es ihm auch wirklich gut?
    Ich vermisste ihn sehr. Seine schönen Augen, seine warme Stimme, seine Beharrlichkeit. Doch ich hörte auf die Stimme in mir, die mich warnte. »Nein!«, befahl ich mir selbst. »Du darfst nicht schwach werden.« Keine Briefe, keine Anrufe, kein Kontakt. Ich musste versuchen, Amir endlich zu vergessen. Wenn ich ganz ehrlich zu mir selbst war, wusste ich, dass er mir zuletzt nicht gutgetan hatte und auch in Zukunft nicht gut für mich wäre. Es gab nur eine Lösung: Ich musste von Amir loskommen.
    Auf dem Weg zur Schule versuchten ein paar Jungs, uns Mädchen anzumachen. Sie stellten uns nach, posierten und machten sich mit peinlichen Einlagen lächerlich. Einer von ihnen schien sich mit seinem Motorrad für besonders unwiderstehlich zu halten. Er kam eines Nachmittags sogar bis auf den Fußweg gefahren und baute sich vor uns auf: »Na, ihr Hübschen, wollt ihr wirklich schon nach Hause gehen, so ganz allein?«
    Ich trug an jenem Tag eine Rolle Zeichnungen unter dem Arm, die ich dem Angeber einfach vor die Brust stieß. Er geriet mitsamt seiner Maschine ins Straucheln und musste sich unsere bittere Schadenfreude anhören. Mir blieb das Lachen allerdings schnell im Halse stecken, als ich seine bedrohlich laute Stimme hörte: »Das nächste Mal kriegst du Säure ins Gesicht, das schwöre ich dir!«
    Säure? Seine Drohung hielt mich tagelang in Atem, zumal meine Freundin Sohre ihn wenige Tage später in einer winzigen Autowerkstatt unweit der Schule wiedererkannte. Säure! Wir hatten schon davon gehört. Es kam nicht allzu häufig vor, aber in unregelmäßigen Abständen wurde von solchen

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