Auge um Auge - Ein Verehrer schuettete mir Saeure ins Gesicht Jetzt liegt sein Schicksal in meiner Hand
sekundenlang an den Reinfall, den Mardschan und ich einige Tage zuvor erlebt hatten – und atmete erleichtert auf beim Anblick des geschmackvoll eingerichteten Büros und des seriös wirkenden Personalchefs. Er war respektvoll, höflich und das genaue Gegenteil von dem schmierigen alten Herrn aus der Höhle des Löwen.
Wir wollten gleich zu Beginn klarstellen, dass wir nur zu zweit hier arbeiten mochten – oder gar nicht. Aber der Personalchef, ein gewisser Herr Erschadmanesch, kam uns zuvor. Er wies uns darauf hin, dass für weibliche Angestellte der Tschador Pflicht sei. Da war also der Haken. Ich war regelwidrig oder gar unsittlich gekleidet. Meine Freundin Mansureh fand sich mühelos mit der strengen Kleiderordnung ab, ich allerdings bat mir eine kleine Bedenkzeit aus.
Schon wenige Tage später durfte sich Mansureh über ihre neue Arbeitsstelle freuen, und das gewiss nicht allein ihres Tschadors wegen, sondern auch, weil sie die entsprechende schulische Vorbildung besaß. Erfreut erzählte sie mir: »Ameneh, stell dir vor, er hat sich nur mein Zeugnis angesehen, hat zwei, drei Fragen gestellt und gesagt: Wenn Sie möchten, versuchen Sie’s doch mit uns. Am besten noch in dieser Woche.« Sie lud mich zum Tee ein und spendierte Schirini, Süßigkeiten, wie üblich, wenn man Grund hatte, etwas zu feiern.
Bei heißem Samowartee und leckerem Gebäck aus meiner Lieblingskonditorei saßen wir also da und überlegten, was wir tun könnten, damit Sazegan-Gostar auch mich einstellen würde. Mansureh könnte ja nochmals mit dem Personalchef sprechen. »Mehr als wieder auf die Tschadorpflicht hinweisen, mehr als endgültig Nein sagen kann er doch nicht, oder?«
Ich kaufte mir weitere Tageszeitungen und ging die Stellenanzeigen durch. Nein, als Zugehfrau wollte ich nicht arbeiten – Hauswirtschaft stand nicht auf dem Plan. Und wie auf Knopfdruck musste ich an Amir denken. Den Mann, den ich einst liebte und der mich zur Hausfrau hatte machen wollen. Er war sicher schon im zweiten oder dritten Semester, dachte ich mir, und er hatte ganz gewiss eine Freundin, die er bald heiraten und glücklich machen würde. Entgegen jeder Vernunft kam meine Sehnsucht wieder auf. Die Sehnsucht nach dem Mann, den ich damals kannte und der lange Zeit sein wahres eifersüchtiges Gesicht zu verbergen wusste. Wie gerne hätte ich ihn angerufen und einfach nur seine Stimme gehört, aber die Vernunft musste siegen. »Schlag ihn dir endlich aus dem Kopf!«, rief ich mich zur Ordnung. »Hör auf zu träumen, und steck die Nase lieber wieder in die Zeitung!«
Und da stand: »Hersteller hochwertiger medizinischer Geräte expandiert, sucht junge Mitarbeiter, auch Berufsanfänger oder Studenten der Elektronik oder Elektrotechnik. Bei Interesse wenden Sie sich an …« Sazegan-Gostar! Die suchten also noch immer Leute. Das musste meine Chance sein. Ich vereinbarte erneut einen Vorstellungstermin und stand ein zweites Mal in der Firma, in der ich so gerne gearbeitet hätte. Bei dem zweiten Termin sprach anstelle des Personalchefs der Produktionsleiter mit mir. Er sah sich mein Zeugnis an und schien tatsächlich bereit, mich einzustellen – mit Mantel und Kopftuch.
Herr Hosseinzad, so hieß der Mann, bestellte mich für den nächsten Tag. Ich erschien pünktlich, wartete – und bekam nichts zu tun. Stundenlang musste ich tatenlos dasitzen, drehte Däumchen und beantwortete gelegentliche Nachfragen, wie ich es denn geschafft hätte, trotz Schleierpflicht diese Stelle zu bekommen. Ob ich Beziehungen hätte oder mit jemandem in der Firma verwandt sei …
Irgendwann lächelte mir Herr Erschadmanesch im Vorübergehen zu: »Na, nun sind Sie ja zusammen mit Ihrer Freundin hier!« Das war wohl wahr, nur hatte ich nichts zu tun. Ich hatte einen Job, aber ich hatte keine Arbeit. Vielleicht hatte sich jemand einen schlechten Scherz mit mir erlaubt? Womöglich wollte jemand beweisen, dass man mit Tschador tatsächlich besser vorankäme? Ich war vollkommen ratlos. Inzwischen war es kurz vor vier, und Mansureh hatte bald Feierabend – wir könnten uns gemeinsam auf den Heimweg machen, dachte ich mir. Ich war mir sicher, dass ich hier nicht eine Minute länger untätig herumsitzen wollte.
Als ich gerade aufgestanden war und gehen wollte, kam mir Herr Hosseinzad entgegen: »Bitte verzeihen Sie, Frau Bahrami, wir hatten eine ausländische Delegation im Haus, der Termin hat sich unerwartet in die Länge gezogen, es tut mir wirklich leid. Doch nun stehe ich Ihnen
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