Auge um Auge - Ein Verehrer schuettete mir Saeure ins Gesicht Jetzt liegt sein Schicksal in meiner Hand
so hartnäckig zu bedrängen? Da ich seine Telefonnummer nicht kannte, musste ich Herrn Fatawi bitten, den Anruf zurückzuverfolgen. Leicht fiel es mir nicht, doch dann rief ich bei ihm an. Madschid selbst nahm den Hörer ab, und als ich ihm in knappen Worten sagte, dass ich mit seiner Mutter sprechen wolle, rief er aufgeregt: »Mami, Mami! Ameneh will mit dir reden!« Sehr erwachsen klang das nicht, die eigene Mutter in seinem Alter noch Mami zu rufen. Dann vernahm ich wieder seine Stimme: »Meine Mutter ist nicht da.«
Seltsam. Die Frau, die mich schon seit Monaten immer wieder ungefragt und ungebeten mit ihren Anrufen belästigt hatte, war selbst nicht zu sprechen.
Einen Tag später sah ich ihn auf dem Weg zur Arbeit auf der anderen Straßenseite stehen. War er das? Tatsächlich, ja, er war es, aber er befand sich schon auf dem Rückzug. Er wollte wohl unentdeckt bleiben. Ich rannte hinter ihm her, holte ihn ein und stellte ihn zur Rede. Es war die erste Gelegenheit seit langer Zeit, denn in der Universität waren wir uns seit Monaten schon nicht mehr begegnet. Ich musste es schaffen, ihn endgültig loszuwerden.
»Ich hab geheiratet, hörst du! Also lass mich jetzt endlich in Frieden, ein für alle Mal!«
»Nein!«, fauchte er. »Ich hab mich erkundigt, du bist nicht einmal verlobt. Einen Mann hast du auch nicht. Und selbst wenn: Lass dich scheiden.« Seine Stimme wurde nach einer kurzen Pause noch kälter. »Heirate mich, oder ich mach dich unglücklich! Und dann steht dir eine rabenschwarze Zukunft bevor!«
»Verstehst du nicht, was ich sage?«, brüllte ich ihn an. »Du sollst endlich aus meinem Leben verschwinden! Hast du gehört? Endgültig!«
»Du wirst schon sehen, was du davon hast«, drohte er düster blickend. »Ich werde dich verbrennen!«
Ich wich zurück. Angst, nackte Angst überkam mich. Ich ging schnell zurück auf die andere Straßenseite,
an geparkten Autos entlang, als ich in einer blitzblanken Windschutzscheibe für Sekunden mein Spiegelbild sah. Ein fürchterlicher Gedanke durchfuhr mich: »Er wird dir dein Augenlicht nehmen.« Eine innere Stimme sagte mir: »Er nimmt dir das Licht! Er nimmt dir das Licht!«
Ich zitterte am ganzen Körper. Was sollte das heißen? Was hatte das alles zu bedeuten? Was meinte er damit? Und was war das für eine Stimme in mir? Was wollte sie mir sagen? Was nur? Was?
Das letzte Stück Weg bis zur Firma ging ich langsamer als sonst, ich prägte mir den Gehsteig ein, die Bäume, Blätter, die Sonne, Schattenrisse und murmelte ein Gebet vor mich hin: »Herr im Himmel, ich habe Angst und gebe mich ganz in deine Hand. Ich bitte dich, beschütze mich!«
In der Firma angelangt, erzählte ich einer Kollegin, was gerade geschehen war.
»Du hast ihm doch jetzt ins Gesicht gesagt, dass du nichts von ihm wissen willst. Das müsste er nun doch endgültig kapiert haben.«
»Inschallah, wollen wir’s hoffen!« Etwas in mir gab mir jedoch das Gefühl, dass diese Sache noch längst nicht zu Ende war.
Der Fastenmonat hatte begonnen. Wenn ich abends von der Arbeit nach Hause kam, hatte mein Vater immer ofenfrisches Brot gekauft, Barbari, längliche Fladen, hellbraun knusprig, mit Sesam bestreut. Dazu gab es Datteln und Tee, zum Fastenbrechen, dem Iftar.
Wenn ich damals sehr früh, noch vor dem ersten Ruf zum Morgengebet, aufstand, sah ich vom Dach unseres Hauses aus die Sonne aufgehen, dazu vereinzelte Sterne. Nachts hing der Himmel mitunter so übervoll von ihnen, dass die Pracht mir fast Angst machte. Nun stand ich auf dem Dach, hängte Wäsche auf und sah meine Welt minutenlang in Sonnenrot getaucht: Dächer, Antennengewirr, Wäsche auf den Nachbardächern, die im sanften Morgenwind trocknete, die mächtigen Alborz-Berge in der Ferne.
Auf den Straßen unten noch kein Verkehrsgewimmel, noch kein Lärm, hier und da ein Passant, der früh auf den Beinen war.
Mein Alltag nahm auch im Ramadan seinen Lauf. Rennerei von früh bis spät. Studium, Arbeit, Familie, lernen, schuften, sich kümmern, sich sorgen, heute, morgen, übermorgen. Hätte das irgendwann ein Ende? Wäre es mit einem Ehepartner nur halb so beschwerlich? Kochen, waschen, putzen, aufräumen … tagein, tagaus. Ein wenig Abwechslung wäre mir durchaus recht gewesen. Ein bisschen mehr Freizeit vielleicht, gute Freunde, mit denen man Freude und Sorgen teilen und unbeschwert zusammen sein konnte. Lieber Gott, das ließe sich doch einrichten, oder?
12. Augenblick – Schwarzer Dienstag
Seit Stunden stehe ich
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