Auge um Auge - Ein Verehrer schuettete mir Saeure ins Gesicht Jetzt liegt sein Schicksal in meiner Hand
für seine Hilfe und das Geld, das er uns für die Behandlung meines Bruders gegeben hat. Leider ist Mohammad nicht wieder ganz gesund geworden. Er hat bleibende Schäden davongetragen und muss heute noch regelmäßig zur Behandlung in eine Nervenklinik.
In jener Zeit träumte ich oft wirres Zeug, fühlte mich schlapp und müde, hatte zu nichts mehr Lust und dachte immer häufiger an Amir, den ich nun doch endlich anrufen wollte. Ich wollte wissen, wie es ihm ging und mich vergewissern, dass er glücklich war und ein zufriedenes Leben führte. Unzählige Fragen schwirrten mir durch den Kopf. Ob er wohl verheiratet war? Ob er Kinder hatte? Ob er überhaupt noch in Hamadan lebte? Ich rief eine alte Freundin an, die in der Nähe meiner Großeltern wohnte, und versuchte, etwas über Amir herauszufinden.
»Ja, Amir lebt noch hier, aber er hat sich sehr verändert. Sei vorsichtig, Ameneh!«, erklärte sie mir am Telefon.
»Wieso vorsichtig? Hat er viele Frauen? Ist er hässlich geworden oder was?« Aber sie ließ sich keine weiteren Details entlocken. »Das musst du schon selbst herausfinden, Ameneh«, sagte sie nur geheimnisvoll und ließ mich mit meinen unbeantworteten Fragen zurück.
An einem Freitagnachmittag nahm ich all meinen Mut zusammen und wählte die Geschäftsnummer, die meine Freundin mir gegeben hatte. »Sei auf der Hut, Ameneh!«, hörte ich noch einmal ihre warnende Stimme. Eigentlich war ja schon Wochenende, und ich würde vermutlich niemanden erreichen, aber ich rief trotzdem an. Wer weiß, vielleicht ginge er ja sogar selbst an den Apparat?
»Baleh, ja bitte?« Da war sie wieder, seine wohltuende Stimme! Amir, du, tatsächlich! Doch anstatt mich zu erkennen zu geben, stammelte ich nur: »Salam, ist Sahnaz zu sprechen?«
»Nein, das hier ist kein Privatanschluss. Sie sind falsch verbunden.«
»Eine Firma? Sie arbeiten am Wochenende?«
»Ja, zu tun ist immer genug.«
»Da haben Sie recht. Verzeihen Sie die Störung.«
»Auf Wiederhören.«
Mir wurde heiß und kalt zugleich. Ich hatte tatsächlich mit Amir gesprochen. Meine Hände zitterten vor Aufregung, und ich rief noch mal an.
»Baleh …?«
»Hallo, ich … Weißt du nicht, wer ich bin?«
»Ach, Ameneh, ich hab dich gleich beim ersten Mal erkannt. Jahrelang hab ich auf diesen Moment gewartet. Warum rufst du erst heute an?«
»Ich dachte, du bist bestimmt verheiratet, und ich wollte nicht aufdringlich sein.«
»Ameneh, keine Frau der Welt kann deinen Platz einnehmen. Hast du das immer noch nicht begriffen?«
Es war kaum zu fassen! Da sprach ich mit Amir nach so langen Jahren, und es fühlte sich an wie am ersten Tag.
»Mehdi, Mehdi!«, rief er seinem Freund oder Kollegen im Hintergrund zu. »Eines Tages ruft sie an! Hab ich’s nicht gesagt?« Die Freude wich sofort aus seiner Stimme, als er sich mir wieder zuwandte: »Du hast mich schön sitzen lassen, damals, Ameneh!«
»Und du hast mir eine Riesenangst eingejagt, Amir, vergiss das nicht.« Ich seufzte tief, konnte noch immer kaum glauben, dass ich wirklich mit Amir verbunden war.
»Geht’s dir gut?«
»Ja, und dir? Hast du geheiratet?«
»Kein Mann reicht an dich heran, Amir, keiner gefiel mir so gut wie du. Aber als Student hattest du doch sicher eine Freundin?«
»Ach was, Student. Ich hab das Studium abgebrochen und bin zum Militär … Ameneh, ob du’s mir glaubst oder nicht: Als Soldat hab ich allen unsere Geschichte erzählt, die Geschichte von Amir und Ameneh, von Leila und Madschnun, von Romeo und Julia …«
»Ach, Amir!«
»Und du bist jetzt bald Ingenieurin und wirst nichts mehr von mir wissen wollen! Nachdem du weg warst aus Hamadan, war ich verloren, Ameneh.«
»Ich hatte solche Angst, dass du mir etwas antun würdest, Amir, glaub mir!«
»Und du glaub mir, dass ich jemandem, den ich liebe, nicht ein Haar krümmen könnte. Ich schwöre dir, ich war verloren ohne dich. Wie oft hab ich stundenlang nur dagesessen und geheult! Wie oft bin ich die Wege gegangen, die wir gemeinsam gegangen sind. Alles in Hamadan, alles hat mich an dich erinnert, Ameneh … Es war die Hölle ohne dich!«
»Erinnerst du dich noch an das Gedicht von Feridun Moshiri, Kutscheh, Die Gasse?«
Ich zitierte die Verse, die ich heute noch auswendig
kenne:
Ohne dich ging ich in einer Mondscheinnacht wieder durch diese Gasse hier,
War von Kopf bis Fuß Auge, das sehnsuchtsvoll suchte nach dir.
Wie ein Kelch war ich, der vor Wiedersehensfreude überquoll,
Und wurde wieder jener Tor von
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