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Auge um Auge - Ein Verehrer schuettete mir Saeure ins Gesicht Jetzt liegt sein Schicksal in meiner Hand

Titel: Auge um Auge - Ein Verehrer schuettete mir Saeure ins Gesicht Jetzt liegt sein Schicksal in meiner Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ameneh Bahrami
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bleibt? Das ist doch nicht dein Ernst, oder?« Alle, wirklich alle, weinen sie, wenn sie mein Zimmer verlassen, das spüre ich. Steht es wirklich so schlimm, so schrecklich schlimm um mich? Hat er mich tatsächlich so fürchterlich zugerichtet? Mir fehlt der Mut, in den Spiegel zu schauen.
    Irgendwann aber muss es sein. Irgendwann muss ich mir, muss ich der Wahrheit ins Gesicht sehen. Irgendwann oder jetzt gleich? Ich muss wissen, was die Leute so traurig macht. Also hoch jetzt, raff dich auf, Ameneh! Schau in den Spiegel im Bad …
    Nein, bleib im Bett, warte noch – für den Moment der Wahrheit ist noch Zeit genug, der läuft dir nicht davon …
    Sei nicht feige, Ameneh, steh auf! Schau in den Spiegel!
    Also raus aus dem Bett, an den Wänden entlangtasten, langsam, Schritt für Schritt für Schritt, aufmerksam, bis ins Bad, vor den Spiegel treten, den Kopf heben –
    Und nichts. Das ist nichts. Kein Gesicht. Ein dunkler konturloser Kreis an der Stelle, wo mein Gesicht hätte sein sollen. Nichts, einfach ausradiert – ein dunkler Fleck …

13. Betrachtungen – Tot oder lebendig?
    Beim Anblick des Bildes in dem Spiegel wäre ich fast in Ohnmacht gefallen. Aber nun lag ich wieder im Bett. Es war Tag drei, und ich lebte noch immer. Erstaunlich, was ein Mensch aushalten kann. Dieses Brennen, Stechen und Pochen – und dazu noch die seelischen Schmerzen, die von Stunde zu Stunden größer wurden als die körperlichen. Es musste die Hoffnung sein, die mir Kraft gab. Meine Mutter sagte mir, die Ärzte glaubten, ich könnte bald schon wieder richtig sehen. Sie log, wie ich später erfahren konnte. Sie log mich aus reiner Mutterliebe an, um mir Lebensmut zu schenken.
    Immerhin musste ich nun keine Angst mehr haben, wenn die Tür zu meinem Krankenzimmer sich öffnete. Madschid war verhaftet worden. Er war, wie so viele Täter, an den Ort des Grauens zurückgekehrt. Die Polizei hatte dem Krankenhauspersonal der ersten Klinik, die ganz in der Nähe des Tatorts lag, eine Personenbeschreibung gemacht. Man gab dem Sicherheitspersonal und den Pflegekräften zu verstehen, dass sie, sobald Madschid in dem Spital erschiene, ihm erzählen sollten, ich sei schon wieder entlassen worden. Die Verletzungen seien nicht schlimm gewesen, und ein wenig Salbe hätte genügt, um mich wieder heimzuschicken.
    Und tatsächlich: Er kam.
    Die Falle funktionierte. Madschid schien sich tatsächlich nach mir zu erkundigen, und auf die Frage, wer er denn überhaupt sei, soll er gesagt haben: »Der, der es getan hat!« Er schien sich nach der Entwarnung durch das Pflegepersonal in Sicherheit zu wiegen und verriet sich dabei auf eine plumpe, geradezu dreiste Art.
    Meine Laune besserte sich jedenfalls. Trotz der Aufregung in den Medien. Landesweit wurde von dem Fall berichtet, was mir eine Menge Zuspruch und Hilfe brachte. Alles würde wieder gut werden, versicherten mir alle – nur die Ärzte blieben zurückhaltend. Ich fragte mich natürlich, warum alle so traurig waren, wenn ich doch bald wieder ganz gesund werden würde …
    Der stellvertretende Direktor der Freien Universität kam zu Besuch. Ich fühlte mich wirklich geehrt und zutiefst respektiert. Eine Geste, die kaum eine größere Wirkung hätte haben können.
    »Wie konnten Sie so einen Verrückten nur immatrikulieren?«, hatte ich ihn irgendwann gefragt. Aber was wollte er mir schon antworten?
    »Man hat ihm beim besten Willen nicht angesehen, dass er zu so etwas fähig sein könnte.«
    Das war es. Unglücke und Katastrophe gab es immer nur in anderen Familien. So etwas Schlimmes kannte man nur aus den Zeitungen oder dem Fernsehen. Das Böse war stets weit weg, und nun war es hier. Unter uns. Ob es Gottes Wille war? Ich denke schon. Ich hatte gelernt, dass jedes Blatt, das von einem Baum fiel, es nur aus einem einzigen Grund tat: weil Gott es so wollte. Mein Leben wollte Gott offenbar auf den Kopf stellen. Und es schienen noch viele schwere Prüfungen auf mich zuzukommen.
    Aber was war nun wirklich los mit meinem Gesicht? Einen zweiten Blick in den Spiegel hatte ich nicht mehr gewagt. Auch die Ärzte schienen ratlos zu sein. Auf meine Fragen hieß es immer nur, man müsse noch weiter abwarten. Aber auf was wollten sie denn noch warten? Auf meine Selbstheilungskräfte? Auf ein Wunder? Ich wollte so schnell wie möglich wieder auf die Beine kommen, das stand fest – aber dafür brauchte ich die beste medizinische Hilfe, die verfügbar war. Meine rechte Netzhaut habe ein Loch, wurde mir

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