Auge um Auge - Ein Verehrer schuettete mir Saeure ins Gesicht Jetzt liegt sein Schicksal in meiner Hand
ich sie später dann zur Rede stellte, erklärte sie mit ernster Stimme: »Ich bin schließlich dein Vormund, also steht mir die Hälfte deines Geldes zu.«
Wie war sie überhaupt zu einer Vollmacht über mein Konto gekommen? Hatte sie Dr. Medel aus diesem Grund um eine Bescheinigung gebeten, aus der hervorging, dass ich ohne meine Schwester nicht zurechtkäme?
»Und warum hast du das Konto dann gleich ganz leergeräumt?«, hakte ich nach.
»Ich dachte, ich könnte einen Computer kaufen und vielleicht ins Internetgeschäft einsteigen.«
»Und aus welchem Grund besprichst du deine Businesspläne nicht mit mir?« Und da hallten mir ihre Worte in der Erinnerung wider, die ich einmal gehört hatte, als sie telefonierte: »Ein Unternehmen mit zwei Millionen Umsatz habe ich im Iran aufgegeben, um meine hilflose Schwester nach Spanien zu begleiten.« Dabei hatte sie in Teheran ohne meine Hilfe nicht einmal ihre Wohnungsmiete aus eigener Kraft zusammenbekommen! Was, in Gottes Namen, wollte sie in Barcelona auf die Beine stellen?
Ich hatte ihre Geschwisterliebe satt und setzte sie vor die Tür. Sollte sie doch sehen, bei welcher ihrer zahlreichen neuen Freundinnen sie unterkäme. Und nur wenige Wochen später – ich sah in der Zwischenzeit leider nicht mehr ganz so gut wie direkt nach Dr. Medels erster Augenoperation – hätte ich meine Entscheidung fast bereut, als das Wasser aus der kleinen Spülmaschine nicht durchs Spülbecken ablief, weil ich nicht bemerkt hatte, dass der Siphon verstopft war. Es überschwemmte stattdessen den eingeschalteten Herd, und ich bekam einen heftigen Stromschlag, als ich den Herd ausschalten wollte.
Beim Sozialamt hielt man meine Geschichte für ein Hirngespinst. Unzählige Male musste ich nachhaken, bis man mir endlich einen Handwerker schickte. Aber wovon hätte ich die teure Rechnung bezahlen sollen? Der Handwerker, der schließlich kam, hatte ein derart ätzendes Reinigungsmittel im Gepäck, dass ich um ein Haar einen Nervenzusammenbruch erlitten hätte. Die beißenden Dämpfe versetzten mich sofort zurück in den Ressalat-Park, und ich bekam panische Angst um mein empfindliches Auge.
Als Tage später die Glasplatte eines Beistelltischs in tausend Scherben zersprang, hätte ich Schirins Anwesenheit wohl auch als das kleinere Übel empfunden. Mir fehlte der Mut, die Splitter alleine aufzusammeln. Ich bat eine Nachbarin um Hilfe und musste es schließlich doch einsehen: Alleine leben war zu gefährlich. Doch wenn ich auf lange Sicht zu meiner Selbstständigkeit zurückfinden wollte, musste ich mich durchbeißen. Und jeden Tag einem ganzen Geschwader an Schutzengeln dankbar sein.
Ich weigerte mich, aus der Sozialwohnung auszuziehen. Wo hätte ich denn sonst wohnen sollen? Auf der Straße? Sicher war ich manches Mal mit der Miete im Rückstand. Sicher nahmen meine ärztlichen Behandlungen mehr Zeit in Anspruch, als allen Beteiligten lieb sein konnte. Aber hatte ich das zu verantworten? Ich verbrachte unzählige Stunden am Telefon in endlosen Gesprächen mit dem Konsul in Madrid: Wann würden die angekündigten Zahlungen eintreffen? Warum wurden sie nicht auf mein Konto überwiesen, auf das ich nun alleine Zugriff hatte? Wieso wollte man mich nur bei der Finanzierung der Augenoperationen unterstützen, nicht aber, wenn es um die Gesichtschirurgie ging, die mir doch nur ein menschliches Antlitz, ein winziges Stückchen Lebensqualität zurückgeben sollte? Ich wollte mich um keinen Preis beirren lassen! Wenn ein Iraner einer Iranerin Säure ins Gesicht schüttete, dann war es die Pflicht des Staates, sich um das Opfer zu kümmern. Auch wenn manche Menschen das anders sahen: Meine feste Überzeugung war das Einzige, woran ich mich klammern konnte, um überhaupt weiterzukommen und nicht schon bald unverrichteter Dinge wieder zu Hause in Teheran zu stehen – ohne Ansehen, ohne Aussehen und ohne Aussichten!
Mein rechtes Auge tat mir plötzlich wieder so weh, dass ich mir nicht anders zu helfen wusste, als – ohne Geld in der Tasche – ein Taxi zu rufen und ins IMO zu fahren. Dort angekommen, wurde ich sofort in die Notaufnahme gebracht. Ich wurde fast verrückt vor Schmerzen, lief hektisch umher und schrie das halbe Krankenhaus zusammen. In meiner Qual fesselten zwei Pfleger mich ans Bett, weil ich fast durchzudrehen drohte. Hatte ich denn noch immer nicht genug durchgemacht? Waren das vielleicht die Nachwirkungen dieses Rohrreinigers? Oder die Strafe dafür, dass ich mich mit Schirin
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