Auge um Auge - Ein Verehrer schuettete mir Saeure ins Gesicht Jetzt liegt sein Schicksal in meiner Hand
meinem eigenen Kulturkreis wohlfühlen würde, hätte ich mir nie träumen lassen. Manche Leute hatten mich vor meiner Abreise gewarnt: »Ameneh, mach dich darauf gefasst: Die Europäer mögen Ausländer nicht und am wenigsten die mit den ganz dunklen Haaren.«
Barcelona hatte mich in meinem sechsundzwanzigsten Lebensjahr neu geboren. Diese Stadt hatte mir ein neues Leben geschenkt, weil sie mir gezeigt hat, was ich erreichen kann, und auch, was möglich ist, wenn Menschen bereit sind, sich auch für Schwächere einzusetzen. Menschen mit Behinderung sind in der spanischen Öffentlichkeit ein selbstverständlicher Anblick, und man nimmt große Rücksicht auf sie. Allein die vielen Spanier, die mir täglich ohne jegliche Berührungsangst begegneten, mir ganz selbstverständlich halfen, wenn sie sahen, wie langsam ich vorankam – gerade anfangs, als ich meine Wege noch suchte, indem ich mich an Häuserwänden entlangtastete, zum Einkaufen, auf dem Weg in die Klinik, in die Sprachschule oder ins Café um die Ecke. Alle gaben sie mir das Gefühl: Hier bist du zu Hause!
Ein einziges Mal nur, als ich zum Kleiderkaufen unterwegs war und aus einer Umkleidekabine trat, schrie eine Kundin bei meinem Anblick vor Schreck auf – und entschuldigte sich gleich darauf. Ich nahm ihr ihre Reaktion gar nicht übel. Ich fand ja selbst, dass ich zum Fürchten aussah. Und um das zu ändern, war ich nach Europa gekommen.
Das spanische Sozialamt vermittelte uns schon bald eine ganz passable Wohnung, allerdings mit der Auflage, nach zwei Monaten wieder auszuziehen. Aber meine Operationen würden doch viel mehr Zeit in Anspruch nehmen, sorgte ich mich damals. Und sie würden noch komplikationsreicher verlaufen, wenn Schirin weiter so selten Staub wischte, dessen war ich mir sicher. Rauch und Staub waren wie Gift für mein krankes Auge, und mir wurde klar, dass ich schon bald kleinere Hausarbeiten selbst in die Hand nehmen müsste, um das Entzündungsrisiko so gering wie möglich zu halten.
Auch meine Medikamente verabreichte ich mir inzwischen selbst, obwohl es mir jedes Mal sehr schwerfiel, mein entstelltes Gesicht zu berühren, mein Auge zu ertasten, die Tropfen hineinzuträufeln und das verkümmerte Lid zu salben. Meine Schwester indes verbrachte viel Zeit am Telefon, um mit neuen Bekannten zu plaudern. Ganz selten sprach sie immerhin auch mit Hilfsorganisationen oder Vertretern der Botschaft in Madrid. Sie vergaß dabei nie zu betonen, dass sie die Begleitperson war, ohne die Ameneh unter gar keinen Umständen zurechtkäme.
Es war erstaunlich, wie viele Exiliraner aus den Medien von unserer Ankunft in Barcelona erfahren hatten. Schirin hatte mittlerweile Kontakte zu einer ganzen Schar wissbegieriger Landsleute. Manchmal, so kam es mir vor, schien ihnen weniger unser Schicksal als vielmehr das Geld von Interesse, das uns die Regierung Khatami – laut Medienberichten angeblich in beträchtlicher Höhe – zur Verfügung gestellt hatte. Im Laufe der Zeit boten jedenfalls Dolmetscher ihre Dienste an, Optiker, Anwälte und Ärzte. Entsprechend schwer wurde es in der Folgezeit dann auch, Spenden zu sammeln, weil alle der Meinung waren, wir würden bestens von der iranischen Regierung unterstützt.
Leider war die Hilfe gar nicht so groß, und das bewilligte Geld ging schnell zur Neige. Dass nach dem Amtsantritt von Präsident Ahmadinedschad im August 2005 gar keine Unterstützung mehr an mich ging, interessierte niemanden mehr. Und zu meiner großen Enttäuschung musste ich auch bald erkennen, dass meine Schwester Schirin spürbar dazu beigetragen hatte, dass unser Geldvorrat schneller schrumpfte als geplant.
»Ihr Konto ist zurzeit leider ohne Guthaben, Frau Bahrami«, offenbarte mir die Bankangestellte, als ich erwartungsfroh die neuesten IMO-Rechnungen und die Miete zahlen wollte.
»Ohne Guthaben? Wirklich?«, wunderte ich mich ahnungsvoll. »Der Konsul in Madrid hat mir doch persönlich vor Tagen eine Überweisung angekündigt.« Tatsächlich war auch Geld eingegangen, konnte mir die Frau am Schalter bestätigen: »... aber das wurde vor zwei Tagen bereits abgehoben.«
Obwohl ich die Antwort im Grunde schon kannte, fragte ich, wer denn die Abhebung vollzogen habe.
»Schirin Bahraminava.« Meine große Schwester also, die mir doch eigentlich hätte helfen sollen, statt mir Steine in den Weg zu legen.
Was dachte sie sich nur dabei, so über mein Geld zu verfügen? Meine Schwester, wieso tust du mir das an?, fragte ich mich. Und als
Weitere Kostenlose Bücher