Auge um Auge - Ein Verehrer schuettete mir Saeure ins Gesicht Jetzt liegt sein Schicksal in meiner Hand
ausgiebigen Spaziergang mit einer Freundin, Sima, und spürte: Ich bin gerne wieder hier. Wenn auch Dr. Medel auf meine Frage: ›Was gibt’s Neues zum Thema medizinischer Fortschritt?‹, antwortete: »Wir müssen Geduld haben, Ameneh.«
Geduld … Manchmal fragte ich mich, warum man nicht einfach eine Kamera in die Augenhöhlen einbauen konnte. Als ehemalige Studentin der Elektronik musste mir zwar klar sein, dass das nicht so einfach war, wie ich es mir in meinen Tagträumen erhoffte. Aber manchmal dachte man eben verrückte Dinge, um sich das Unmögliche schönzureden. Damit ich nicht wieder in ein Stimmungstief geriet, nahm Maria mich mit zu der spanischen Blindenhilfsorganisation Once. Mein Spanisch machte zwar Fortschritte, aber ich müsste wohl endlich auch die Blindenschrift lernen. Und dieses Mal hatte ich Glück: Man war bereit, mich zu unterrichten. Bei der Gelegenheit informierte ich mich über all die Geräte, die mir den Alltag erleichtert hätten, wenn ich sie mir hätte leisten können: eine sprechende Küchenwaage, Sprachprogramme für den Computer, ein Gerät, das Farben erkannte … Für so viel Lebensqualität hätte ich aber mehrere Tausend Euro investieren müssen. Geld, das ich nicht hatte und das ich – wenn es überhaupt zur Verfügung stünde –
für meine Operationen gebraucht hätte. Ich versuchte mich zu trösten.
Eines Tages. Vielleicht.
Kaum hatte ich mit dem Unterricht begonnen, erfuhr ich, dass der nächste Verhandlungstermin nun endlich feststand: der 30. November 2008. Also unterbrach ich meinen Braille-Kurs und flog wieder zurück nach Teheran. Wieder begleiteten mich meine engsten Verwandten in das Gerichtsgebäude. Mehr als einmal hatte meine Tante mir in jenen Tagen nahegelegt: »Heirate ihn doch, Ameneh, er liebt dich. Er hat in seinem jugendlichen Leichtsinn eine Dummheit gemacht …« Der Druck auf mich und meine Entscheidung wuchs von Tag zu Tag. Ich empfahl meiner Tante, dass sie erst einmal mit ins Gericht kommen sollte: »Dann wirst du hoffentlich begreifen, warum ich ihn nie heiraten wollte. Damals nicht und in Zukunft erst recht nicht.«
Wieder fanden wir uns vor dem Gerichtssaal in der Khayyam-Straße, zweiter Stock, Raum 75 ein. Um zehn Uhr sollte die Verhandlung beginnen. Wieder herrschte Gedränge, und wieder ging ein leises Raunen durch die Gänge. Mein Anwalt, Dr. Sarrafi, und seine Frau waren da und auch Frau Karimi, die Gattin eines meiner Ärzte in Teheran. Dann trat ein Journalist auf mich zu und fragte mit lauter Stimme: »Waren die Kleidungsstücke, die er damals von Ihnen bekam, ein Geschenk an ihn?«
Nun wollte man mir wohl diese Sache falsch auslegen. Eine Falle vielleicht …
»Aber nein! Ich hab ihn ja nie wissen lassen, woher sie kamen. Ich weiß nicht mal, ob er heute eine Ahnung hat, dass ich die Sachen damals organisiert habe. Ich gab sie einem Wächter und schärfte dem Mann ein, auf keinen Fall zu sagen, dass sie von mir waren. Ich wusste ja damals nicht einmal, wie er hieß, und wollte das auch gar nicht wissen, weil er mir so seltsam vorkam.«
Der Journalist wandte sich kurz ab. Madschids Familie traf ein. Parwin beschrieb mir den zerschlissenen Tschador, in den seine Mutter sich gehüllt hatte. Ob sie ihre Armut besonders betonen wollte? Wahrscheinlich aber waren sie wirklich arm. Als Taxifahrer hatte es der Vater sicher nicht leicht, sieben Kinder großzuziehen. Und aus diesem Grund hatte ich dem Kerl damals ja auch geholfen – nur aus einem Impuls heraus. Und aus dieser Hilfsaktion wollten meine Gegner mir nun vielleicht einen Strick drehen?
Ich versuchte, mich, so gut es ging, gegen das Geraune und Gedränge abzuschotten, um mich auf die Verhandlung zu konzentrieren, in der ich erneut all das vorbringen wollte, was mir wichtig war. Mein Wunsch nach Vergeltung rief noch immer Kritiker aus dem In- und Ausland auf den Plan. Wobei mein Eindruck zu jener Zeit war, dass die iranischen Medien zumeist für, ausländische aber eher gegen mich argumentierten.
Menschenrechtsorganisationen, Frauengruppen, auch viele Kommentatoren meiner Internetseiten waren entrüstet. Vergeltung sei unmenschlich, so der Tenor. »Da profitiert sie nun im fernen Spanien vom 21. Jahrhundert und holt in ihrer Heimat zu einem primitiven, unmenschlichen Gegenschlag aus«, meinten manche. Andere Menschen, die ich auf der Straße traf, ob in Teheran oder in Barcelona, stärkten mir häufig den Rücken: »Weiter so, Ameneh! Du kämpfst nicht nur für dich alleine,
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