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Auge um Auge - Ein Verehrer schuettete mir Saeure ins Gesicht Jetzt liegt sein Schicksal in meiner Hand

Titel: Auge um Auge - Ein Verehrer schuettete mir Saeure ins Gesicht Jetzt liegt sein Schicksal in meiner Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ameneh Bahrami
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Aufmerksamkeit.«
    Ich weiß nicht, wie lange ich geredet habe. Ich hörte – so schien es zumindest –, dass viele Menschen in dem Saal weinten, und fühlte eine Beklemmung wie selten zuvor in meinem Leben. Ich war ob meiner eigenen Geschichte bestürzt. Ich hatte mir selbst in einer öffentlichen Rede mein Schicksal dargelegt und empfand es in diesem Moment als unerträglich.
    Dann bat meine Mutter darum, das Wort ergreifen zu dürfen: »Euer Ehren, auch seine Eltern tragen einen Teil der Schuld.«
    Der Kerl fauchte sofort: »Nein, nicht meine Eltern. Die trifft keine Schuld. Schuldig bin ich ganz allein.«
    Der Richter forderte ihn auf, sich zu verteidigen.
    »Ich habe nichts zu sagen«, meinte er, »nur – bitte – keine Vergeltung. Wenn, dann will ich die Todesstrafe.«
    »Jetzt bettelst du um deinen Tod«, sagte ich zu ihm. »Vielleicht wäre heute vieles anders, wenn du damals nicht gesagt hättest: Ich verbrenne dich, dann krieg ich die Todesstrafe, und fertig!«
    »Ich dachte, ich kriege dich eh nie – es ist ohnehin alles aus.«
    »Umso schlimmer! War das dann der einzige Weg? War das die richtige Lösung?«
    »Nein, ich habe den falschen Weg eingeschlagen und bin nicht rechtzeitig umgekehrt …«
    »So wie du mir damals keine Wahl gelassen und gesagt hast: ›Ich mache dein Leben kaputt. Wenn ich dich nicht kriege, soll auch kein anderer dich haben‹ – so lässt du mir auch heute keine andere Wahl. Mir bleibt nur die Vergeltung. Damit die vielen jungen Frauen da draußen die Chance haben, künftig mit heiler Haut davonzukommen!«
    Wieder herrschte Stille im Saal. Der Richter fragte, ob jemand im Publikum noch das Wort ergreifen wolle, und bekam eine einstimmige Antwort: »Ameneh hat doch alles gesagt.«
    Gott hatte mir tatsächlich beigestanden. Meine Stimme, meine Kraft und meine Entschlossenheit waren mir nicht entglitten. Gott hatte an meiner Statt gesprochen. Er wollte, dass man mir dieses Recht zusprach, um den Schmerz meines gebrochenen Herzens wenigstens ein kleines bisschen zu lindern.
    Schließlich hieß es: »Unterschreiben Sie dieses Dokument hier!« Ich tat es, ohne zu wissen, was es bedeutete, aber im guten Glauben, dass alles seine Richtigkeit hatte – und Madschid unterschrieb ebenfalls. Nun hieß es, die kommende Verhandlung abzuwarten, um zu erfahren, wie das Urteil lauten würde.
    Ein paar Tage später teilte mir Richter Gheissarieh mit, dass der Vater des jungen Mannes nach jenem denkwürdigen Tag mehrfach bei ihm vorstellig geworden war und angeboten hatte, meine Operationskosten zu zahlen sowie mir ein Auto und ein Haus zu kaufen – wenn ich das Urteil nicht vollstreckte. In einem Zeitungsinterview sagte Madschids Vater: »Ameneh, heirate meinen Sohn, und wir machen dich glücklich.«
    Es geriet also auf einmal doch Bewegung in die Sache. Aber was ging nur in den Köpfen dieser Leute vor? Wenn ich schon vor der Gräueltat kein Interesse an dem Kerl hatte, warum sollte ich ihn danach heiraten wollen?
    Nach seiner Tat hatte ich mich alleine durchgeschlagen, hatte Geld aufgetrieben und zeitweise alleine in Spanien gelebt. Den Wunsch, seine Frau zu werden, würde seine Familie mit in ihr Grab nehmen müssen.
    Laut Richter Gheissarieh hatte auch seine Mutter vorgesprochen und um die Todesstrafe gebeten, weil ihr Sohn die Vergeltung fürchtete. Das indes war interessant. Wenn es um mich und meine Verletzungen ging, war alles nicht so schlimm. Nichts, was man nicht mit ein paar Bündeln Geld hätte aus der Welt schaffen können. Nun aber ging es um ihren Sohn, und plötzlich hatte man große Angst vor der zerstörerischen Wirkung dieser Säure.
    Richter Gheissarieh bestellte mich Tage später erneut ein und gab mir Gelegenheit, dem Obersten Staatsanwalt, Said Mortazawi, meine Beweggründe darzulegen. Meine Mutter begleitete mich wieder, und erneut stiegen wir die breite Treppe hinauf, passierten Lichtschranken und wurden freundlich empfangen. Man reichte uns Tee und bat uns zu warten, da der Staatsanwalt noch in einer Vorlesung sei. »Wer ist dieser Mortazawi eigentlich?«, hatte meine Mutter mich gefragt, und ich musste ihr die Antwort nicht schuldig bleiben, weil Mariam mir glücklicherweise die entscheidende Information geliefert hatte: Ihr Bruder studierte an der Hochschule für Journalistik, wo Staatsanwalt Mortazawi Jura-Vorlesungen hielt.
    Said Mortazawi hatte jede Menge Zeitungen verboten, Journalisten verhört und vielleicht auch foltern lassen. Dem Vernehmen nach ist mein

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