Auge um Auge - Ein Verehrer schuettete mir Saeure ins Gesicht Jetzt liegt sein Schicksal in meiner Hand
Land das größte Gefängnis für Journalisten weltweit. Und steht auf Platz zwei hinter China, was die Zahl der Hinrichtungen angeht. Zu viele Regimekritiker werden verhaftet, zu viele werden hingerichtet. Die, die man am Leben lässt, sieht man dann im Fernsehen, wo sie sich für Verbrechen entschuldigen, die sie gar nicht begangen haben. Andere kommen in der Haft unter seltsamen Bedingungen ums Leben oder begehen angeblich Selbstmord. Heute geht die Regierung gegen die Kinder derer vor, die vor dreißig Jahren die Revolution durchgeführt haben … Wovor hat dieser Staat, zumindest in den Städten, eigentlich solche Angst? Unter der frommen Landbevölkerung findet er eine breitere Unterstützung. Die Intellektuellen, die Mittelschicht, die jungen Leute wollten doch weder das System auf den Kopf stellen, noch trachteten sie den Mullahs nach dem Leben. Sie wollten lediglich ihr eigenes Leben in Würde verbringen können.
Mein Interesse für Politik hatte sich immer in Grenzen gehalten, was mir als Studentin eigentlich schlecht zu Gesicht stand. Aber die Rennerei zur Bewältigung meines Alltags verschlang derart viel Zeit, dass für Politik kaum Raum geblieben war. Zwischendurch wurde mir dann immer wieder klar, dass ich ja eigentlich mittendrin steckte. An die Anrufe meiner Großmutter aus Hamadan erinnere ich mich noch gut. Sie machte sich ständig Sorgen, jedes Mal, wenn Studenten massenweise für Veränderungen auf die Straße gingen – angespornt durch die Reformbewegung von Präsident Khatami, die im Jahr 2005, nach Ablauf seiner zweiten Amtszeit, ja ein Ende haben sollte: »Kinder, lasst doch das Demonstrieren sein«, drängte Großmutter uns oft. »Das endet nur wieder in Blutvergießen. Und Blut wurde doch wahrlich schon zu viel vergossen in unserem Land.«
Pressefreiheit und freie Meinungsäußerung, berufliche Perspektiven, weniger strenge Kleidervorschriften, gute Auslandsbeziehungen – unter Präsident Khatami schien das alles machbar. In seiner Amtszeit wurde das Informationsministerium sogar so weit gebracht zuzugeben, dass es für systematische Morde an Schriftstellern und Intellektuellen verantwortlich war. Das war eine Sensation.
Ich hatte keine Angst vor dem Treffen mit der Staatsanwaltschaft. Er dürfte mich nur nicht allzu lange warten lassen, weil ich in jener Zeit schnell schläfrig wurde, was nicht zuletzt an den vielen Medikamenten lag, die ich einnehmen musste.
Oberstaatsanwalt Mortazawi empfing uns schließlich und fragte ohne große Vorrede nach meinen Lebensumständen: »Erzählen Sie mir von Spanien, Frau Bahrami. Wie lebt jemand wie Sie in Barcelona?« Ich geriet ins Schwärmen, als ich ihm beschrieb, wie viel Rücksicht man in Europa auf Menschen mit Behinderungen nahm und wie viele öffentliche Einrichtungen auf deren Bedürfnisse zugeschnitten waren. Abgesehen davon, dass Männer und Frauen nicht – wie bei uns üblich – nach Geschlechtern getrennt reisen mussten, fuhren in Spanien die bequemsten Niederflurbusse, während man in Teheran immer mehrere Stufen zu überwinden hatte.
Der Oberstaatsanwalt wollte auch wissen, ob ich in Spanien finanziell unterstützt werden würde. »Ich bekomme vierhundert Euro vom spanischen Sozialamt, also von einem Staat, dem ich eigentlich gleichgültig sein könnte. Dafür bin ich sehr dankbar, aber das Geld reicht leider nicht im Geringsten, um meine Ausgaben zu bestreiten.«
Er wolle sehen, was er für mich tun könne, sagte er, um schließlich doch noch zum eigentlichen Thema zu kommen: »Warum bestehen Sie auf Vergeltung?«
»Weil er sich den Tod wünscht«, antwortete ich.
»Aber das Vergeltungsurteil wird doch bei uns in der Regel gar nicht mehr vollstreckt«, gab er zu bedenken.
»Mir aber würde es nicht schwerfallen«, sagte ich.
»Üblicherweise verbüßt ein Säureattentäter etwa zehn Jahre Haftstrafe, zahlt Schmerzensgeld, und damit sollte die Sache dann doch aus der Welt sein«, wandte der Oberstaatsanwalt ein.
»Stellen Sie sich vor, er kommt frei und begeht die nächste Tat. Was dann? Meine Mutter fürchtet sogar, er – oder gar seine Angehörigen – könnten ihr oder unserer Familie etwas antun. Außerdem geht es mir ja nicht nur um mich. Der Täter hat doch schon Nachahmer gefunden. Hier ist eindeutig die Sicherheit vieler Menschen bedroht!«
Oberstaatsanwalt Mortazawi war von der abschreckenden Wirkung der Vergeltung nicht überzeugt.
»Versetzen Sie sich bitte in die Lage meiner Mutter. Sie bangt um das Leben
Weitere Kostenlose Bücher