Auge um Auge (German Edition)
zusammengekniffenen Augen. »Was schmollst du jetzt wieder, Cho? Weil du dir selbst was zu trinken kaufen musstest?«
»Klappe.«
»Mädchen wie du –«, setzt er an, dabei will er mit dem Arm auf mich zeigen und stößt versehentlich meine Cola um. Das Zeug spritzt auf meinen Pullover. Mit einem Schrei springe ich auf. PJ und Reeve stoßen ihre Stühle zurück, um nicht auch noch etwas abzubekommen. Schon spüre ich, wie die Cola durch die Kaschmirwolle hindurchsickert auf meinen BH . Ein großer brauner Fleck breitet sich auf meinem Pulli aus. »Du ... du hast ihn mir ruiniert!«, keuche ich.
»Jetzt chill mal, Lillia. Es war ein Unfall.« Reeve kommt mit einer Serviette und will den Fleck trocken tupfen.
Ich weiche zurück. »Rühr mich nicht an!«
Höhnisch grinsend sagt Reeve: »Oh, das hatte ich ja ganz vergessen. Prinzessin Lillia mag es nicht, wenn man sie anfasst. Stimmt’s?« Er zwinkert mir zu.
»Reeve, lass sie in Ruhe«, sagt Rennie.
Mir treten die Tränen in die Augen. Ich senke den Kopf und reibe an meinem Pullover herum, sodass mir die Haare vors Gesicht fallen. Ich rede auf mich ein, dass alles in Ordnung ist. Reeve ist einfach so wie immer. Er weiß nichts. Woher auch? Rennie wird keinem was erzählen. Das haben wir einander versprochen.
Ich versuche, tief Luft zu holen, aber ich kann nicht richtig durchatmen. Jetzt zittert auch noch meine Unterlippe. Ich muss hier raus, bevor ich noch vor allen Leuten durchdrehe.
»Nur dass du’s weißt – dieser Pullover hat dreihundert Dollar gekostet – mehr als die Klapperkiste, mit der du herumfährst.«
Damit nehme ich meine Tasche und gehe zu den Mädchentoiletten. Ich stürme hinein, steuere auf die Waschbecken zu und drehe den Hahn auf.
Ich werde nicht weinen. Nein. Ich weine nicht in der Schule. Kommt nicht in Frage.
Nur leider ist die Sache mit dem Weinen keine Frage des Willens.
Ich weine so heftig, dass meine Schultern beben und mir der Hals wehtut. Ich kann gar nicht mehr aufhören.
Die Tür geht auf, und ich bin sicher, es ist Rennie. Doch sie ist es nicht. Es ist Kat DeBrassio. Sie lässt ihre Tasche in das Waschbecken neben mir fallen und macht mit ihren Haaren rum, zupft an ihrem Pony und schüttelt ihn.
Schnell spritze ich mir kaltes Wasser ins Gesicht, damit keiner merkt, dass ich geweint habe. Aber anscheinend hat sie doch was gesehen, denn sie fragt, auf ihre typische, etwas schroffe Art: »Alles okay mit dir?«
Ich blicke starr geradeaus in den Spiegel, mir direkt ins Gesicht. »Alles okay.«
···
Ich hatte Rennie als Erste kennengelernt, in der Schlange vorm Süßigkeitenstand im alten Kino in der Hauptstraße. Ich war damals zehn und fühlte mich ziemlich erwachsen, wie ich so allein dastand mit meinem Zehn-Dollar-Schein in der Hosentasche. Rennie fand meine Flipflops schön und sagte mir das. Sie waren lavendelblau mit rosa Tupfen. Ein paar Wochen später hat Rennie mir Kat vorgestellt. Von da an waren wir ein Trio.
Bevor ich Rennie und Kat kannte, hatte ich immer nur Nadia zum Spielen gehabt, wenn wir für den Sommer nach Jar Island kamen. Jetzt hatte ich gleich zwei beste Freundinnen.
Jeden Freitag übernachteten wir abwechselnd beieinander. Wir spionierten Kats älterem Bruder nach und spielten mit ihrem Hund Shep. In Rennies Wohnung machten wir Erdnusskrokant und ließen uns von Rennies Mutter schminken. Bei mir zu Hause schwammen Rennie und Kat um die Wette im Pool, während ich am flachen Ende blieb und die Schiedsrichterin machte. Wir haben mit meinem viktorianischen Puppenhaus gespielt und, als wir älter waren, mit Dads Camcorder Filme gedreht, die wir Mom und Nadia am nächsten Morgen beim Frühstück vorführten.
Ich war eifersüchtig, weil ich ja wusste, dass Rennie und Kat einander immer noch hatten, wenn ich Ende August nach Hause musste. Die beiden waren sich in vieler Hinsicht sehr ähnlich – beide waren absolut furchtlos. Ich hingegen war ein Angsthase. So nannte Kat mich immer. Nie wollte ich vom hohen Sprungbrett springen oder das Ruder halten, wenn Kats Dad mit uns segeln ging, oder mit Jungs losziehen, die wir am Strand kennenlernten. Aber Rennie und Kat passten beide auf mich auf, und ich fühlte mich in Sicherheit.
Als meine Familie entschied, ganz hierherzuziehen, wurde ein Traum für mich wahr. Jener Sommer war nur eine Aufwärmübung für den Spaß, den wir zusammen in der High School haben würden.
Doch dann schaffte Rennie es Anfang August, ihrer Mutter endlich die Erlaubnis zu
Weitere Kostenlose Bücher