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Auge um Auge (German Edition)

Auge um Auge (German Edition)

Titel: Auge um Auge (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny Han , Siobhan Vivian
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angeblich ein einsames Geschäft – jedenfalls meine ich, das irgendwo gehört zu haben. Außerdem weiß ich auch gar nicht, wie Lillia mir helfen könnte. Ihre Gedanken erreichen nicht dieselben dunklen Orte wie meine. Dafür hat sie ein viel zu reines Herz. Und ganz egal, was da gerade zwischen Lillia und Rennie läuft, es ist völlig ausgeschlossen, dass Lillia sie je hintergehen würde. So wie ich Lillia kenne, liest sie meine SMS in diesem Moment laut vor, und Rennie lacht sich einen Ast ab. Die Pferde sind mit mir durchgegangen, und jetzt bin ich am Ende, bevor ich überhaupt angefangen habe.
    Scheiß drauf. Ich fahr jetzt nach Hause und arbeite an meiner frühen Bewerbung fürs Oberlin-College. Das ist auch das Einzige, was mich dieses Jahr durchstehen lässt – der Gedanke, dass ich endlich von dieser Insel runterkomme, und zwar für immer.
    Ich fahre auf den Parkplatz vor dem Fähranleger, um zu wenden. Die Lichter sind längst ausgeschaltet, der Platz ist komplett leer, bis auf ein Mädchen, das auf der Bordsteinkante hockt. Sie hat die Ellbogen auf die Knie gestützt und den Kopf in die Hände gelegt, das blonde Haar fällt ihr über die eine Schulter.
    Ich will schon an ihr vorüberfahren, doch irgendetwas bringt mich dazu, abzubremsen. Im Näherkommen erkenne ich sie: das Mädchen vom Schulklo.
    »Das Mädel vom Schulklo«, sage ich und halte an.
    »Ich heiße Mary«, sagt sie und kaut weiter an einer Haarsträhne.
    »Ich weiß«, lüge ich, »sollte ein Witz sein.« Ich schüttle den Kopf und mache einen neuen Versuch. »Was zum Teufel treibst du so spät hier draußen?«
    Ihre Augen sind weit aufgerissen, der Blick ist panisch. »Ich muss weg hier, runter von der Insel.«
    »Du weißt schon, dass es fast zwei Uhr morgens ist, oder? Vor morgen geht keine Fähre mehr. Die letzte hast du um, warte mal, drei Stunden verpasst.«
    Mary schweigt und starrt vor sich hin in Richtung Pier. Alles ist schwarz, Wasser und Himmel sind kaum zu unterscheiden. »Ich glaube, ich verliere gerade den Verstand.«
    Genauso sagt sie das, und – ganz ehrlich – ich glaube ihr. Dieses Mädel ist total irre. Aber ich sollte mal runter zum Yachtclub. Für den extrem unwahrscheinlichen Fall, dass Lillia doch dort auftauchen sollte, muss ich da sein. »Soll ich dich vielleicht nach Hause fahren oder so?«, frage ich Mary und hoffe, dass sie ablehnt.
    »Ich warte einfach hier. Vielleicht hab ich bis morgen früh den Mumm zusammen, von hier wegzugehen.«
    »Du willst die ganze Nacht lang hier sitzen?«
    »Sind ja nur noch ein paar Stunden. Danach muss ich diesen Ort nie mehr wiedersehen.«
    »Wo hast du denn deine Sachen? Du bist doch nicht ohne alles hergezogen, oder?«
    »Die – die kommen später nach.«
    Das ist doch verrückt. Meine kleine Freundin ist tatsächlich dabei, komplett durchzudrehen . »Geht es um Reeve?«
    Mary senkt den Blick. »Es ging immer um Reeve.«
    Gerade will ich Scheiß auf den Kerl sagen, da sehe ich Lillias silbernen Audi die Straße hinunterflitzen und an der ersten Ecke nach rechts auf den Parkplatz vom Yachtclub einbiegen. Ich fasse es nicht, sie ist gekommen. Sie ist tatsächlich gekommen.
    »Steig ein«, sage ich zu Mary. Ich mag ja ein Biest sein, aber ich lasse sie nicht allein hier im Dunkeln sitzen.
    »Ich –«
    »Jetzt mach schon!«
    Einen Moment lang sieht Mary aus, als wollte sie anfangen zu diskutieren. Wenn sie das macht, bin ich weg. Ich hab keine Zeit, auf sie einzureden wie auf einen lahmen Gaul. Wenn Lillia mich nicht sieht, steigt sie womöglich gar nicht erst aus.
    Mary zögert, dann versucht sie erfolglos, die Tür aufzumachen. »Abgeschlossen.«
    »Lass den Griff los«, sage ich und drücke auf den Entriegelungsknopf, aber die Tür will noch immer nicht. Großer Gott. »Spring einfach so rein.«
    »Wem jagst du denn hinterher?«, fragt sie, als ich das Gaspedal durchtrete, um den Abstand zwischen uns und Lillias Rücklichtern zu verringern.
    Ich antworte nicht. Ich fahre einfach.
    Als wir auf den Parkplatz einbiegen, steht Lillia neben ihrem Wagen. Sie trägt ein enges Kapuzenshirt, eine umgekrempelte kurze Schlafanzughose mit rosa und roten Herzen, dazu Flipflops. Die Haare hat sie zu einem langen Pferdeschwanz zusammengebunden. Im Mondlicht kommt es mir so vor, als wären sie nass. Als hätte sie vor Kurzem erst gebadet. Das ist auch so eine komische Eigenart von Lillia: Sie badet jeden Abend, wie ein kleines Kind, das hat sie schon früher so gemacht. Manche Dinge ändern

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