Auge um Auge (German Edition)
ohne Abendessen in seine Höhle geschickt, ihm sein Telefon weggenommen oder ihn auf sonst eine alberne Art zu bestrafen versucht. So wie sie ihren Sohn bemuttert und ihm immer noch seine Kleidung kauft, ist klar, dass sie sich eigentlich immer eine Tochter gewünscht hat. Garantiert ist sie stinksauer wegen dieser Geschichte. Sie ist nämlich eine richtige Dame, stets sehr korrekt, und Alex hat sich wirklich barbarisch aufgeführt.
Nie hätte ich ihm zugetraut, dass er so heftig werden könnte. Und schon gar nicht, dass er auf Reeve einschlagen würde. Sehr elegant war das zwar nicht, aber gut gezielt und getroffen. Ich hab mir echt überlegt, ob ich ihn anrufen sollte, um ihm zu sagen, er soll sich beim nächsten Mal ein bisschen mehr ins Zeug legen. Mit etwas mehr Schwung hätte er Reeve glatt k.o. geschlagen. Bestimmt.
Aber ich ruf ihn nicht an. Und ich werde auch seine SMS und seine Mails nicht beantworten. Nicht, solange ich nicht sicher bin, dass er seine Lektion gelernt hat. Dass er mit mir nicht so umspringen kann. Dass es idiotisch von ihm war, mit Nadia rumzumachen, wenn er stattdessen mich hätte haben können.
Später kommt mir die Idee, Ricky zu fragen, ob er mich am Montag zur Schule fährt. Das beste Mittel, um einen Jungen zurückzubekommen, ist schließlich ein anderer Typ. Oder, in meinem Fall, wenigstens die Illusion eines anderen.
Auf die Weise hat Mom sich meinen Dad gekapert. Sie sind über Monate hinweg immer wieder ausgegangen, aber er machte nie Nägel mit Köpfen, bis sie eines Abends in seiner Lieblingsbar aufkreuzte mit ihrem schwulen Freund Albert und einer Rolle Vierteldollarmünzen für die Jukebox. Schon beim ersten langsamen Tanz hat Dad Albert auf die Schulter geklopft, um ihm Mom als Partnerin auszuspannen. Sie war echt raffiniert, meine Mom.
Nicht, dass ich das bei Alex ausprobieren würde. Ich lebe einfach weiter mein lustiges Leben. Soll er doch unglücklich sein!
Ich sehe ihn schon vor mir, wie er ganz allein auf dem Parkplatz steht, weil ihn seit der Sache mit Reeve all seine Freunde meiden. Rennie würde sich immer für Reeve entscheiden, das weiß ich. Und deshalb wird Alex dastehen wie ein verloren gegangener Welpe, wie ein kleiner Junge ohne Freunde. Und dann komme ich angebraust, auf dem Rücksitz von Rickys röhrendem Motorrad. Ich werde den Helm abnehmen und meine Haare ausschütteln. In Zeitlupe.
Junge, was wird es ihm leidtun.
Ich wette, dann kommt er sofort zu mir rüber. Entweder schon auf dem Parkplatz oder später, wenn ich an meinem Spind stehe. Er wird mich um Vergebung bitten, wird mir sagen, dass das mit Nadia ihm nichts bedeutet hat. Dass es an der ganzen Schule keine andere wie Kat DeBrassio gibt. Und dann: Einmal Kat, immer Kat.
Am Montagmorgen holt Ricky mich mit dem Motorrad ab. Ich bin froh, dass er mit der aus Japan importierten Maschine kommt, die mit Rennstoßdämpfern aufgemotzt ist, damit er Sprünge machen und durch die Dünen fahren kann, und nicht mit seiner mintgrünen Vespa. Darum hatte ich ihn schließlich auch gebeten. Garantiert würde mich keiner cool finden, wenn ich von einer mintgrünen Vespa steige.
Als ich aus dem Haus komme, schiebt er das Visier in seinem Helm hoch. »Kat – wow!«
Ich gehe mit großen Schritten den Weg hinunter, und meine Haare wippen auf und ab wie in der Shampoowerbung. Ich hab heute Morgen extra die Enden gelockt. Nicht so stark, dass jemand glauben könnte, ich hätte gut aussehen wollen. Eher so, als wäre ich gestern Abend mit nassen Haaren schlafen gegangen und heute Morgen mit sexy verstrubbeltem Kopf aufgewacht. Ich hab meine hautengen schwarzen Jeans an, ein schwarzes Top und Moms schwarze Stilettos. Die High Heels sind vielleicht eine Spur zu viel, aber was soll’s. Außerdem ist heute ein Meeting der Seniors mit College-Beratern; falls jemand fragen sollte, könnte ich also immer noch sagen, ich hätte mich dafür aufgestylt.
»Danke fürs Abholen«, sage ich und steige hinten auf. Erst lege ich die Arme um Ricky, dann überlege ich es mir noch einmal, lehne mich zurück und halte mich nur am Sitz fest – eine deutlich coolere Haltung.
»Kein Problem. Ich muss erst um halb zehn am College sein.« Ricky dreht sich um und hält mir seinen schnittigen Rennfahrerhelm hin, der rote Streifen hat und ein geschwärztes Visier. »Hier, setz den auf. Ich hab vergessen, einen zweiten für dich mitzubringen.« Ich winke ab. »Schon gut.« Bis zur High School ist es schließlich bloß eine Meile. Und
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