Augen für den Fuchs
sich nicht aufhalten und schob Gunda mit ihrem Arm beiseite. Vor Miersch blieb sie stehen.
»Die Wahrheit! Nichts wissen Sie von der Wahrheit! Warum müssen Sie hier auftauchen, in unserer Vergangenheit herumwühlen und sie uns dann noch erklären? Sie können sie gar nicht kennen. Sie wissen von nichts!«
»Sie haben mir selbst gesagt, dass Ihr Mann kein Mörder war. Ich habe die Beweise gefunden, die Sie gesucht haben. Ich habe die Unschuld Hajos bewiesen.«
»Ich wollte keine Beweise. Ich wusste, dass Hajo nicht der Augensammler war, nie gewesen sein konnte. Und Hajo ist auch nicht der Mörder von Sebastian.«
»Es klingt logisch und stimmt mit den Indizien überein. Der ermittelnde Kriminalpolizist sieht’s als bewiesen.«
»Bewiesen! Bewiesen! Was wollen Sie denn beweisen? Sie wissen nichts! Und Sie werden nie etwas wissen. Sie haben die Wahrheit nicht gepachtet. Sie ist nicht Ihr Eigentum!«
»Aber …«
»Was aber? Sie haben keinen Beweis, und er steht auch nicht in der Akte. Die Wahrheit kann Ihnen erzählen, wer will, aber das ist sie nicht. Hajo war kein Mörder, und ich lasse nicht zu, dass Sie ihn zu einem machen.« Rosel kam seinem Gesicht bedrohlich nah. Es sah aus, als wollte sie ihn gleich bespucken.
»Oma!« Gunda versuchte, Rosel auf einen Stuhl zu zwingen. Aber die Alte hatte sich in Rage geredet.
»Sie kommen hierher, markieren den großen Mann und wollen uns erzählen, wie es gewesen ist. Beweise! Dass ich nicht lache!« Rosel lachte nicht. Mit den Händen stützte sie sich auf den Tisch. Spucketropfen flogen Miersch ins Gesicht. »Wahrheit! Was soll das sein?«
»Wahrheit sind die Tatsachen, die stichhaltig bewiesen werden konnten.«
»Und die wollen Sie kennen?«
Miersch zögerte, sagte dann aber: »Ja. Die Schlinge konnte sich Sebastian nicht selbst um den Hals gelegt haben. Das lässt keine andere Deutung zu. Ihr Mann hat Sebastian ermordet, als er erfahren hat, dass sein Sohn für die Morde verantwortlich ist. Vielleicht konnte er mit dieser Schande nicht leben. Vielleicht wollte er Sebastian das Gefängnis ersparen. Über seine Gründe können wir nur mutmaßen. Aber der Mörder Ihres Sohnes, das ist er.«
»Hajo ist kein Mörder! Er – ist – kein – Mörder! Er hat Sebastian nicht getötet. Er hat ihn nicht getötet.«
Und dann begann Rosel zu lachen. Sie lachte aus vollem Halse und lachte und lachte. Gunda setzte sich verschreckt auf die Bank. Miersch trank einen Schluck Bier.
»Sie wissen nichts. Sie können nichts wissen. Hauen Sie ab. Sie machen alles kaputt. Alles!«
Rosel stand auf und lief kerzengerade aus dem Gastsaal. Ihr Lachen hallte durchs Haus.
31
Hauptkommissar Schmitt stellte sein Auto abseits der Hauptstraße an den Straßenrand. In der Nähe des Parks fanden sich immer noch Plätze, zumal Mitte der Woche. Er schloss ab und lief gemächlichen Schrittes zum Restaurant, das sich zwischen den Bäumen befand. Außer ihm waren hauptsächlich ältere Damen mit Hündchen unterwegs, die ihn ankläfften, als wäre er ein Räuber oder Halsabschneider. Auf einer Bank unterhielt sich ein älteres Paar über die Jugend, das Wetter und den Rentenbescheid. Ein Jogger rempelte Schmitt an und verbat sich seine Anwesenheit.
Schmitt hatte alles geplant. Im Biergarten würden zwei Beamte der Ausländerbehörde sitzen und auf seinen Einsatzbefehl warten. Er hatte mit Rechtsanwalt Dr. Luger kein Erkennungszeichen vereinbart. Aber mit einer Ausländerin an der Seite war er wahrscheinlich nicht schwer zu finden. Schmitt hatte einen sechsten Sinn für deutsches Wesen. Ihm machte keiner etwas vor.
Schmitt hatte zur Anwaltskanzlei Luger & Herklotz recherchiert. Die Herren nahmen sich in der Mehrzahl sozialer Fälle an. Musterprozesse hatten sie geführt gegen Amtsverfügungen und Hartz-IV-Bescheide. Sie stritten für Menschenrechte und Aufenthaltsgenehmigungen. Frank Herklotz sprach auf Kundgebungen zu Sozialticket und Ausländerwahlrecht. Schmitt kannte seine Pappenheimer. Er freute sich schon auf Serafina Karataeva und ihr Gesicht beim Zugriff.
Der Freisitz war nur mäßig besetzt. Schmitt nahm an einem Tisch Platz, der ihm den Blick über alle Wege ermöglichte. Im Rücken das Glashaus, eine Oase im Park der Erholung. Viele nutzten das städtische Grün – Jogger, Kindergärten, Rentner. Am Wochenende kamen Familien und Freundeskreise und grillten. Die Stadtreinigung war tags darauf im Dauereinsatz gegen den Müll. Schmitt lief selten im Grünen, ihn beruhigte schon die
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