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Augen für den Fuchs

Titel: Augen für den Fuchs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henner Kotte
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lag.
    »Sie wussten, dass Ihr Mann an diesem Tag sterben würde.«
    »Er hatte es selbst so bestimmt, und es war gut so.«
    Bettine Stuchlik liefen die Tränen übers Gesicht. Sie streichelte über den Rücken des kleinen Pascal. Der legte sein Köpfchen auf die andere Seite. Die Bläschen am Mund sahen wie Seifenblasen aus. Kohlund hatte gern die bunten Kuller in die Luft gepustet. Auch heute, wenn Kinder ein Seifenblasennäpfchen stehen ließen, griff er zu und blies sie in die Luft, nachdem er sicher war, dass es keiner bemerkte.
    Kohlund zögerte, Bettine Stuchlik die nächste Frage zu stellen. Im Augenwinkel sah er die Beetz, die sich zu ihnen begeben wollte. Er winkte ihr zu, nicht näher zu kommen. Er wollte Bettine Stuchlik in ihren Erinnerungen nicht stören. Sie würde aussagen. Er musste ihr nur die richtigen Stichworte geben. Ein falsches Wort ließ sie vielleicht verstummen. In Beetz’ Zügen meinte er Enttäuschung lesen zu können.
    »Sie haben nach Möglichkeiten gesucht, ihm das Ende zu erleichtern?«
    »Frank hat nach Möglichkeiten gesucht. Er wollte uns nicht belasten. Vor dem Gesetzbuch gilt Sterbehilfe als Mord.«
    »Richter haben auch schon anders in solchen Fällen geurteilt.«
    »Würden Sie sich darauf verlassen?« Bettine Stuchlik schaute ihm offen ins Gesicht. Er konnte ihrem Blick kaum standhalten und war froh, dass er noch nie eine solche Entscheidung hatte treffen müssen. Sicher mussten er und Alexia sich irgendwann dieser Frage stellen. Ihre Eltern wurden nicht jünger, und Opa ließ deutliche Zeichen einer Demenz erkennen. Wie es seinen Eltern ging, wusste Kohlund nicht.
    »Auf welche Idee ist er gekommen?«
    »Er wollte sich selbst erdrosseln. An Gift zu kommen, war uns leider unmöglich. Von Zyankali hört man immer im Fernsehen. Das verabreichen die Sterbeorganisationen in der Schweiz oder Holland.«
    Kohlund wollte nicht daran denken, wie es sein mochte, wenn man auf die Giftkapsel biss. Die Sekunden vor dem selbst gewählten Tod stellte er sich grauenhaft vor, ob man vom Turm sprang, sich auf die Bahnschienen legte, ins Wasser ging oder den Gashahn aufdrehte. Was empfanden Selbstmörder? Was hatte Frank Stuchlik empfunden?
    »Er kann sich die Schlinge nicht selbst zugezogen haben. Ihr Mann war zu schwach, und außerdem waren die Enden am Gestell des Bettes befestigt. Und die Nachtschwester bestreitet energisch, seinen Tod herbeigeführt zu haben. Ihre Aussage liegt uns vor.« Hätte er das Papier bei sich gehabt, hätte Kohlund jetzt ebenso damit gewedelt wie die Beetz vorhin in seinem Büro.
    »Wenn sie es sagt …«
    »Frau Stuchlik, der Tod Ihres Mannes ist am frühen Morgen eingetreten. Es war kein Fremder hier auf Station. Oder lagen Sie unter dem Bett?«
    Blöder Scherz. Bettine Stuchlik verzog keine Miene, sondern blickte auf den Bettbezug und die Kissen, als läge im Bett ein Mensch.
    »Frank wollte uns ein Alibi geben. Damit wir nicht verdächtigt werden können. Er wollte seine Familie schützen.«
    »Haben Sie es getan?«
    Kohlund schaute aus dem Fenster, dann hin zur Tür. Kein Mensch war zu sehen. Die Beetz saß wahrscheinlich bei Schwester Monique und trank Kaffee.
    »Ich hätte die Schlinge zugezogen, wenn Frank es gewollt hätte.«
    Bettine Stuchlik wäre zur Mörderin geworden. Ihr Mann hatte das verhindert. Kohlund schluckte.
    »Wenn Sie ihn leiden gesehen hätten … Es war nicht mehr auszuhalten. Jeden Tag habe ich ihm den Tod gewünscht. Jede Stunde … Aber das Ende wollte und wollte nicht kommen. Vor Schmerzen hat er sich gewunden. Das Morphium reichte nicht aus …« Bettine Stuchlik weinte. Pascal auf ihrem Arm lächelte Kohlund an.
    »Es war einfach nur schrecklich. Ich kann Ihnen nicht sagen, wie viele Nächte ich in mein Kissen geheult habe. Heimlich, damit es die Kinder nicht sehen. Noch mindestens dreißig Jahre habe ich mit ihm leben wollen. Und dann habe ich Frank nichts mehr als seinen Tod gewünscht. Komisch, nicht?«
    Das war kein Scherz.
    »Ich kann Sie verstehen.«
    »Das können Sie nicht.«
    In welchem Alter würde Kohlund seinen eigenen Tod akzeptieren? Wann war er fertig mit der Welt, so dass ihn das Leben nicht mehr interessierte? Nicht Alexia. Nicht die Kinder. Keine Großeltern. Freunde. Wenn ein Mensch kurze Zeit lebt, sagt die Welt, dass er zu früh geht. Wenn ein Mensch lange Zeit lebt, sagt die Welt, es ist Zeit, sangen die Puhdys. Er kannte die Strophen, fast ein Leben lang hatten sie ihn begleitet. Hier im Zimmer schienen sie

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