Augen für den Fuchs
schreien. Geschah das alles ihm oder war es ein Film?
»Hören Sie damit auf. Verdammt!« Wahrscheinlich brüllte der Arzt inzwischen und lächelte nicht mehr. »Hören Sie auf! Es wird nur alles noch schlimmer!«
Kein Film! Es passierte tatsächlich. Nur mit Mühe konnten die Schwester und der Arzt Simona Thede von ihm trennen. Miersch lag am Boden. Sein Blut tropfte auf die Kacheln des Flurs.
»Schauen Sie mich einmal an?«
Miersch blickte auf und sah in die Linse eines Fotoapparates. Wie kam denn dieser Paparazzo hierher? Wo war er? Mörder. Monster. Es klickte und klickte und klickte und klickte.
»Vielen Dank«, sagte der Fotoreporter.
Miersch hechelte. »Sie können doch nicht … Die Fotos«, rief er ihm hinterher, »bitte, die Fotos!«
Sie alle lachten. Das Komplott war perfekt. Alle steckten sie unter einer Decke. Alle! Die im Präsidium gehörten dazu. Die im Krankenhaus auch. Von wegen Verständnis! Mörder! Monster! Menschenschlächter! Sein Kampf war aussichtslos. Er würde sich nicht mehr wehren. Er sah Philips Leberfleck schwarz und immer größer werden. Er lag am Boden. Dann kam die Nacht.
6
»Tatzeit zwischen zwölf und zwei Uhr nachts.«
»Schwester Monique behauptet, während der Nachtschicht könnte keiner hier auf die Station.«
»Doktor Barthelmes sagt das auch.«
Kohlund drehte seine leere Kaffeetasse auf dem Sprelakart des Tisches und überlegte, ob er sich ein Stück des Kuchens nehmen sollte, der noch immer unberührt da stand. Das Personal hatte auf Pausen verzichtet, zu groß war die Hektik an diesem Sonntag. Kohlund hatte das Gefühl, dass ständig irgendwo eine Lampe rot aufleuchtete oder eine Sirene losging. Ärzte und Pfleger hasteten vorbei und schoben Betten über die Gänge. Kranke wuselten dazwischen herum. Besucher standen an den Wänden wie Schwemmholz und fragten mit ernsten Gesichtern nach ihren Angehörigen. Wenn sie sich im Schwesternzimmer erkundigten, konnten ihnen weder Kohlund noch die Beetz Auskunft geben. Kopfschüttelnd verschwanden sie wieder. Berger von der Technik und seine Kollegen sicherten Spuren. Nicht nur im Zimmer des Toten.
»Wie auf dem Bahnhof.« Die Beetz sah in den Regen.
Kohlund nickte. Tatzeit zwischen zwölf und zwei Uhr nachts. Bei einem Raubüberfall würde diese Zeit nicht verwundern, aber bei einem Mord im Krankenhaus? In einem Krankenhaus herrschten strenge Regeln. Die Kranken schliefen. Nur bei den Notfällen sah die Schwester ins Zimmer. Kohlund blätterte im Bericht der vergangenen Nacht. Das Protokoll vermerkte jeden Schritt. Die Nachtschwester hatte es penibel geführt. Besondere Vorkommnisse: keine.
Schwester Monique hatte der Beetz dasselbe gesagt wie Dr. Barthelmes ihm: Nachts wurde die Station verschlossen, die Türe verriegelt. Wer dennoch herein musste, klingelte. In der Nacht war der Bereitschaftsarzt nicht nur für diese eine Station verantwortlich. Er sicherte die Betreuung für drei Stationen. Dr. Barthelmes hatte sich in seinem Oberarztzimmer aufgehalten und nichts Ungewöhnliches bemerkt. Er hatte sogar vier Stunden durchschlafen können. So ein ruhiger Dienst ist selten. Nicht ein einziges Mal hatten die Nachtschwestern ihn gerufen.
»Wir müssen die Nachtschwester … wie hieß die noch mal? …«, Kohlund sah in sein Notizheft, »… Anita Demand befragen.«
Seltener Name, und anscheinend war sie nur für die Nachtdienste zuständig, sie stand immer von 22 bis 6 Uhr im Dienstplan. Wahrscheinlich wurden die unattraktiven Schichten ausgelagert und für diese Stunden billigere Arbeitskräfte engagiert.
»Konkret heißt das: ich.«
»Was ich?«
»Ich soll Anita Demand befragen.«
Kohlund war sich nicht sicher, ob die Beetz scherzte oder auf Gleichberechtigung drang. Er sah zu ihr und zuckte die Schultern. »Das ist kein Befehl. Ich kann das Gespräch auch übernehmen.«
»Geht schon.«
Die Beetz schlürfte ihren letzten Schluck Kaffee und schwang sich ihr Täschchen über die Schulter.
»Haben Sie die Adresse?«
»Schwester Monique hat sie mir gegeben. Ich habe mich auch schon bei Frau Demand gemeldet.«
Die Beetz verschwand süffisant lächelnd, wahrscheinlich sollte ihn ihre Aktivität beeindrucken. Tat sie auch, aber Kohlund ließ es sie nicht merken.
»Ah, ja.«
Die Kollegin war verschwunden. Kohlund schenkte sich aus der Kanne nach, aber es reichte nur für eine halbe Tasse. Er blickte zur Maschine und hoffte, dass die Schwestern nicht von ihm erwarteten, neuen Kaffee zu kochen.
Neben dem
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