Augen für den Fuchs
Kühlschrank über einem Schreibtisch hing an der Wand der Dienstplan. Kohlund las Namen und Wochentage. Die Kästchen waren mit bunten Stiften ausgemalt. Rot und grün und rabenschwarz. Er konnte das System nicht durchschauen. Aber Schwester Monique stand an erster Stelle bei den Namen vom Personal. Wahrscheinlich war sie die Stationsschwester hier, trug die Verantwortung. Kohlund stellte sich vor, was passieren würde, wenn er ein paar zusätzliche Kästchen ausmalen würde. Doppelschichten, Leerlauf und Geschrei. Welcher Idiot!? Er lächelte für sich und fand Anita Demand auch dort ausschließlich für die Nachtschichten eingetragen. Himmelblau war ihre Farbe. Immer nur Nachtdienst. Jeden Tag. Jede Woche. Wahrscheinlich ein unterbezahlter Pflegeengel aus Osteuropa oder der Türkei.
Es klopfte. In der Tür stand Schwester Monique und zog ihre Plastehandschuhe vom Arm. Hinter ihr schaute eine zierliche Frau, ein Kleinkind auf dem Arm, mit großen Augen und sehr streng zurückgebundenen Haaren ins Zimmer. Kohlund hatte den Eindruck, sie riss sich mit dieser Frisur die Kopfhaut vom Schädel. Die Frau kämpfte mit ihren Gefühlen und war doch erstaunlich gefasst. Schwarz gekleidet. Jeans, eine Bluse. Um den Hals ein goldenes Medaillon. Neben ihr stand ein vielleicht Vierzehnjähriger, der einen Zehnjährigen an seiner Hand hielt. Der Kleinere schaute aus ebenso großen Augen wie die Mutter, auch er weinte nicht, kein Lächeln. Der Ältere schaute konsequent an ihm vorbei. Nur das Kleinkind plapperte fröhlich und lutschte am Schnuller.
»Bettine Stuchlik«, sagte Monique knapp und verschwand, wobei sie die Handschuhe schwang.
»Polizei?«, fragte Frau Stuchlik.
Kohlund wusste nicht, wie er beginnen sollte. »Mein Beileid.«
»Wir warten seit Monaten auf diese Nachricht. Es war für Frank eine Erlösung. Glauben Sie mir. Er hat genug gelitten. Es ist gut, dass es endlich vorbei ist.« Mit der freien Hand machte sie eine kurze Bewegung unter die Augen, als würde sie Tränen verwischen.
»Ihr Mann ist keines natürlichen Todes gestorben.«
»Darf ich ihn noch einmal sehen?«
Bettine Stuchlik schien seine Worte nicht zu begreifen und rückte dem Kleinen seinen Schnuller zurecht. Der Gacksch an ihrem Hinterkopf ähnelte einer Wollkugel, die Kohlunds Oma zum Stricken verwendete.
»Liegt er in seinem Zimmer?«
Dort sicherten Berger und seine Kollegen von der Technik noch immer die Spuren. Kohlund wusste die nächste Frage, bevor sie sie aussprach.
»Darf ich?«
Kohlund nickte, er konnte der Frau diesen Wunsch nicht verwehren. Er stand auf und bat sie höflich, ihm zu folgen. Wie eine Prozession schritten sie über den Gang. Entgegenkommende grüßten verhalten. Eine ältere Dame reichte Frau Stuchlik die Hand.
»Er wird froh sein. Ich bin es für ihn«, sagte Bettine Stuchlik kaum verständlich.
Die Alte kniff sich zwischen die Augen. Wahrscheinlich auch eine Langzeitpatientin. Die Sehnen am Hals ließen ihre dünne Haut wie Fahnen im Wind flattern. Der Bademantel schlotterte um ihre knochigen Beine. Gesicht und Hände waren mit dunklen Flecken übersät. In der Vene steckte eine Kanüle. Die Alte nickte betroffen, dann schob sie ihren Tropf weiter.
»Gute Besserung kann man hier keinem wünschen, nur einen schmerzfreien Tod.«
Bettine Stuchlik lief voran. Die Kinder folgten. Das Kleinkind hustete. Frau Stuchlik nahm ihm den Schnuller aus dem Mund und beklopfte seinen Rücken. Unverdaute Nahrung lief auf ihre Bluse. Der große Bruder wischte sie der Mutter mit seinem Taschentuch weg.
Die Tür stand offen. Bergers Anweisungen waren zu hören. Auch unter dem Fenster und davor! Ein dünnes Motorengeräusch erklang. Ein Mann fotografierte. Einer kniete vorm Schrank. Ein anderer bestäubte Tischchen und Bettgestell und legte die Folie für die Fingerabdrücke darüber. Der Tote lag auf dem Bett, als würde er schlafen.
Kohlund ließ Frau Stuchlik den Vortritt. Die Techniker glotzten sie an, als wäre sie eine extraterrestrische Erscheinung. Kohlund hielt Bergers vorwurfsvollem Blick stand. Der Cheftechniker gestattete die Pause: Auf eine Zigarettenlänge! Die Polizisten verließen einzeln den Raum. Ihre Koffer und Geräte bildeten ein Motiv für moderne Kunst. Eine Installation, die en vogue war.
Bettine Stuchlik schob die Decke zur Seite und setzte sich auf das Bett. Die zwei Jungen standen daneben. Sie betrachtete ihren Mann.
»Ich warte draußen«, sagte Kohlund in die Stille.
Sie nickte. Ob auf seine
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