Augen für den Fuchs
Ankündigung, konnte er nicht entscheiden. Bettine Stuchlik nahm Kohlund überhaupt nicht zur Kenntnis. Den Kindern glitzerten die Tränen nun doch in den Augenwinkeln. Der Kleine krähte und erzählte sich eine Geschichte, den Schnuller in der Hand. Wahrscheinlich wollte er Mutti und seine Geschwister zum Spielen animieren. Seine Finger rupften Bettine Stuchlik in den Haaren. Der gebundene Knoten saß fest wie eine Eisenkugel. Unverrückbar. Ewig. Frau Stuchlik wehrte sich nicht gegen die kleinen Hände in ihrem Gesicht. Kohlund ging und stellte sich an die Tür. Er kam sich vor wie der Personenschutz vor der Hotelsuite eines Stars.
Kohlund wartete. Die Minuten schlichen endlos dahin. Er sagte sich, jetzt könne er die Familie stören, und wartete doch weiter.
Dr. Barthelmes kam und fragte: »Fertig?«
Kohlund schüttelte den Kopf. »Die Witwe.«
Dr. Barthelmes nickte und ging seinen Aufgaben nach. Die Alte am Tropf näherte sich wieder und blickte Kohlund durchdringend an, so, als könne sie durch ihn ins Jenseits sehen. Er blickte verkrampft in die andere Richtung. Es widerstrebte ihm, mit ihr über den Tod zu reden. Und worüber sonst konnte er mit der alten Frau sprechen? Sie stellte keine Fragen, schlurfte vorbei und verschwand im nächsten Zimmer. Es war trostlos. Kohlund beschloss, eher aus dem Fenster zu springen, als hier sterben zu müssen.
Er wollte nicht, aber er musste jetzt den Abschied der Familie beenden. Als er die Tür öffnete, prallte er gegen den großen der Söhne. Bettine Stuchlik atmete schwer und hielt Kohlund ihren Kleinen entgegen. Das Baby fasste dem Kommissar sofort an die Nase.
»So kann ich keinem unter die Augen treten.« Bettine Stuchlik trat ans Waschbecken. Mit feuchten Händen tupfte sie sich ins Gesicht und lösten den Knoten. Ihre Haare fielen locker über den Rücken. Kohlund erstaunte die Länge. Dann brachte sie sie mit einem Kamm in Fasson und band erneut den Knoten. Schwer, straff und streng. Bettine Stuchlik wandte sich ihm wieder zu. Der Kleine brabbelte spuckend, als sie ihn zurück auf ihren Arm nahm.
»Stellen Sie Ihre Fragen.«
»Nicht hier. Wollen wir gehen?«
»Wohin? Bei diesem Regen.«
Sie nahmen im Schwesternzimmer Platz. Neuer Kaffee brodelte in der Maschine. Schwester Monique schaute herein. »Kinder, greift zu«, sagte sie.
Die Söhne langten nach Eierschecke und Pflaumenkuchen. Sie aßen ohne Teller und Gabel gleich aus der Hand. Ihre Mutter lächelte, als könnte sie in die andere Welt sehen, in die ihres Mannes. Es wirkte selig, als wäre eine Last von ihr genommen.
»Das ist kein Fall für Sie, Inspektor, legen Sie ihn zu den Akten.«
»Das können wir nicht. Wollen Sie nicht wissen, wer Ihren Mann umgebracht hat?«
»Der Krebs, Herr Inspektor, der Krebs.«
Nein, dachte Kohlund und sagte: »Ja.«
Die Maschine war durchgelaufen. Kohlund schenkte sich Kaffee ein. Frau Stuchlik lehnte dankend ab und holte sich Mineralwasser aus dem Kühlschrank des Personals. Sie bat niemanden darum, hatte es wahrscheinlich schon öfter getan.
»Ihr Mann wurde erdrosselt. Heute Nacht zwischen zwölf und zwei, sagt der Arzt.«
Sie atmete schwer, seufzte. »Da hat mich Pascal dreimal geweckt. Wollte Breichen. Das dauert. Aber Zeugen dafür habe ich keine. Der Kleine wird keine Aussage machen.«
Bettine Stuchlik wandte sich zu ihrem Sohn. Kohlund hatte sie nach keinem Alibi gefragt. Sie erzählte alles freiwillig. Er nahm es zur Kenntnis.
Die großen Geschwister kicherten leise und erzählten sich flüsternd etwas, das sicher nichts mit dem Vater und dessen Tod zu tun hatte. Wahrscheinlich lachten sie über Kohlund. Und erneut nahmen sie Kuchen vom Teller. Die Stuchlik holte noch Cola aus dem Kühlschrank und goss es in Gläser.
»Können Sie sich ein Motiv für diese Tat vorstellen?«
»Frank wollte sterben.«
»Aber er kann es allein nicht getan haben. Dazu war er zu schwach. Wissen Sie, wie viel Kraft man braucht, um sich die Kehle zuzuschnüren?«
»So viel nun auch wieder nicht.« Sie sagte es, als hätte sie es probiert. »Endlich. Es hat ein Ende.«
Bettine Stuchlik schluchzte, jetzt liefen ihr doch die Tränen. Ihre Söhne schauten erschrocken hoch. Der Große stand auf und streichelte seiner Mutter über ihren Haarknoten. Eine Strähne fiel aus dem frisch gebundenen Gacksch.
»Hatte Ihr Mann Feinde?« Kohlund stellte seine Frage kaum hörbar.
»Was denn für Feinde? Frank kämpfte seit Jahren gegen die Krankheit. Irgendwann hatte es keinen
Weitere Kostenlose Bücher