Augen für den Fuchs
Junge schien sich jetzt wirklich über ihren Besuch zu freuen. Eine Abwechselung zur tristen Familienfeier.
Er rannte ins Wohnzimmer zurück und rief: »Oma, die Bullen wollen dir gratulieren!«
Beetz konnte in die gute Stube auf eine Festtagstafel blicken. Um den großen Tisch saß die Familie. Sie sah Torten und Kaffeetassen. Eine Siebzig prangte golden inmitten von Blumen. Eine Frau stand, die Kaffeekanne in der Hand. Sie alle blickten zu ihr, als erwarteten sie von Beetz eine Erklärung für das Ende der Gemütlichkeit. Sie hoffte, dass sie nicht aussah, als käme sie gerade vom Mars. Natürlich kam sie ungelegen, das war Beetz klar. Es war Sonntagnachmittag.
»Kommen Sie doch bitte herein.« Anita Demand trat zur Seite. Und mit einem dezenten Blick auf die Gesellschaft an der gedeckten Tafel sagte sie leise: »Wir feiern den Geburtstag meiner Mutter.«
»Tut mir leid«, sagte Beetz. »Ich muss kurz diese Feier hier stören.« Anita Demand war die Nachtschwester auf der Station. In ihrer Dienstzeit war Frank Stuchlik erwürgt worden. Beetz konnte ihre Fragen nicht verschieben. War ein Mordfall nicht innerhalb dreier Tage gelöst, konnte es dauern und die Erfolgschance wurde immer geringer. Das besagten alle Statistiken. Ungeklärt wollte kein Polizist Fälle zu den Akten legen. Die ersten Stunden nach der Entdeckung des Verbrechens waren wichtig, wichtiger als alles, was danach kommen konnte.
Die Festgesellschaft im Wohnzimmer schwieg. Beetz stand unter genauer Beobachtung. Sie fühlte sich als Eindringling in eine Sphäre, zu der sie nicht gehörte. Zum siebzigsten Geburtstag lud man Kinder, Verwandte und engste Freunde. Die stehende Frau vergaß, weiter die Kaffeetassen zu füllen. Niemand sprach mehr ein Wort. Das Schweigen lastete auf der Runde. Kein Lachen. Kein Wort fiel mehr. Die Dame mit der Kanne löste sich schließlich aus ihrer Erstarrung und setzte sich. Ein Herr mit spiegelnder Brille nahm einen Schluck Bier. Der Junge kam wieder zu ihr zurück in den Flur. Als Einziger musterte er Beetz mit unverhohlenem Interesse.
Anita Demands Lächeln dagegen misslang. »Vielleicht was zu trinken?«
Beetz musste schlucken. Sie hatte den Geschmack des Kaffees aus dem Schwesternzimmer noch auf der Zunge. »Danke, nein.«
Aber da schob sich eine ältere Dame in Kostüm und Hausschlappen aus dem Wohnzimmer zu ihnen in den Flur, das Glas Likör in der Hand, die Lippen feucht, der Blick leicht verhangen.
Sie streckte den Arm aus, als wolle sie Franziska Beetz gleich umarmen. Die trat einen Schritt zurück in das Treppenhaus, konnte jedoch der gut gelaunten Frau nicht entgehen.
»Sie bleiben!« Das feine Kostüm kam mit perfekter Frisur und gespitzten Lippen noch näher. Beetz roch Kräuterlikör und alten Zigarettenrauch. »Wenn Sie schon einmal da sind, können Sie auch einen Kaffee trinken und vom Kuchen probieren. Selbst gebacken. Und Sie können’s vertragen.«
Sie legte Franziska Beetz ihre faltige Hand auf den Arm. Ein Armband klapperte, sicher aus Gold. Am Finger ein Ring mit Saphir, vermutete Beetz.
»Ich lasse Sie ohne nicht weg.« Sie tätschelte Beetz kurz die Hand, knuffte sie dann in die Seite. Offensichtlich war es die Jubilarin, die ihre Befehlsgewalt ausübte. »Ich habe Geburtstag und darf mir was wünschen.«
»Omi, lass, die Frau ist von der Kriminalpolizei und muss mich was fragen.«
»Bist du straffällig geworden?« Omi kicherte albern, ihr Busen wogte. Das Armband schlug an den Ring. So wie es klang, war es wohl doch eine Imitation und kein edles Metall. Omi trank ihr Glas aus und versuchte, ihren Blick auf Beetz zu richten, dann wieder auf ihr Getränk.
»Was ist denn passiert, Kind?« Die Alte stieß leicht mit der Zunge an und stellte fest, dass in ihrem Glas kein Kräuterschnaps mehr war.
»Keine Ahnung. Die Kommissarin wird’s mir gleich sagen.«
»Ich will es auch hören. An meinem Geburtstag.«
Aus dem Wohnzimmer schrie es: »Mensch, wo bleibst du, Louise? Bernd will doch das Video zeigen. Vom Fuffzichsten, weeßte.«
»Hat meine Emmi was angestellt?« Es fiel Louise schwer, den Augenkontakt mit Beetz zu halten. Der Geburtstag hatte ihr augenscheinlich bereits zugesetzt. Sie hielt sich am Schuhschränkchen fest. Der Brieföffner fiel zu Boden. Anita Demand bückte sich wortlos und legte ihn neben alte Zeitungen, Werbeprospekte und das Telefon.
»Geht ins Wohnzimmer«, sagte sie zu den Kindern, die fasziniert ihrem Gespräch lauschten.
Nur widerwillig traten die den
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