Augen für den Fuchs
Rückzug an. Louise blieb stehen. Anita Demand wartete, bis die Kinder die Wohnzimmertür geschlossen hatten, dann wandte sie sich wieder Beetz zu. »Weswegen möchten Sie mich sprechen?«
»Einer Ihrer Patienten auf Station ist auf unnatürliche Weise gestorben. Er muss in Ihrer Dienstzeit ermordet worden sein.«
»Mord! An meinem Geburtstag!«, schrie die Jubilarin und musste sich auf das Schuhschränkchen setzen. »Kind, wovon spricht diese Frau?«
»Keine Ahnung.« Anita Demand blickte der Kommissarin ratlos ins Gesicht, als hätte sie Beetz’ Worte tatsächlich nicht verstanden. »Mord an einem meiner Patienten?«
»Frank Stuchlik.«
»Ich kenne keinen Frank Stuchlik. Und ich habe auch keine Patienten.«
»Sie kennen ihn nicht? Und Sie haben auch keine Patienten?«
Jetzt war es an Beetz, sich zu wundern. »Aber Sie sind doch Anita Demand und arbeiten im Neurophysiologischen Rehabilitationszentrum Leipzig in Machern?«
»Nein.«
»Nein?« Beetz war ehrlich erstaunt. Dass eine Zeugin schon bei den Personalien widersprach, war ihr noch nie vorgekommen. Sie lächelte, wahrscheinlich sehr dümmlich, denn die beiden Frauen schauten erstaunt. Dann begann Beetz in ihrer Tasche zu kramen. Sie fand ihr Notizbuch und blätterte hastig. Da stand es! Eindeutig: Nachtschwester, Anita Demand, Leipzig Paunsdorf, Geutebrückstraße. Diese Adresse hatte ihr Schwester Monique aufgeschrieben. Sie konnte nicht vor der falschen Person stehen.
»Sie heißen Anita Demand?«
»Ja.«
»Aber Sie arbeiten nicht im Neurophysiologischen Rehabilitationszentrum?«
»Meine Tochter arbeitet bei der Sparkasse hinter dem Schalter. Aber krisensicher ist der Beruf auch nicht.«
»Ist gut, Mutti, ist gut.« Anita Demands Blick bat um Entschuldigung »Die anderen warten auf dich. Deinetwegen sind sie gekommen. Die Frau Kommissarin wollte mit mir reden. Geh wieder rein.«
Damit schob sie Louise sanft ins Wohnzimmer zurück. In der Tür drehte sich die Jubilarin noch einmal um. »Aber ein Stück Kuchen mir zu Ehren müssen Sie essen, Frau Kommissarin! Wann hat man so eine schon einmal im Haus?«, lächelte sie, dann war sie endlich verschwunden.
Sofort begannen lautstark die Diskussionen. Anita Demand wandte sich wieder Beetz zu. »Vielleicht setzen wir uns in die Küche.«
Sie ging voran. Im Waschbecken stapelte sich benutztes Mittagsgeschirr, wahrscheinlich war keine Zeit zum Abwaschen gewesen. Auf dem Fensterbrett blühten Blumen in Vasen und Töpfen. Die Tür zum Balkon war geöffnet. Franziska Beetz blieb in der Tür stehen und hörte draußen die Jungen, die sich noch immer um das Loch für einen Vulkan stritten. Sie widerstand dem Reflex nachzusehen, wie tief das Loch jetzt war.
Anita Demand nahm am Küchentisch Platz und blickte sie von unten her an. »Was, bitte, wollen Sie von mir?«
»Auf Station ist heute in der Nacht Frank Stuchlik erwürgt worden.«
»Auf welcher Station?«
»Onkologie.«
»Aber ich arbeite in keinem Krankenhaus. Meine Mutter hat es ja schon gesagt, ich stehe am Schalter. Sparkasse Filiale Liebknecht-, Ecke Hohe Straße.«
Auf dem Flur herrschte Kommen und Gehen, alle Gäste schienen gleichzeitig auf Toilette zu müssen und wollten dabei einen Blick auf die Kommissarin erhaschen.
»Und gestern habe ich genauso wie heute den ganzen Tag hier in der Küche gestanden«, fuhr sie fort. »So ein Fest ist nicht einfach zu organisieren, und einen gemieteten Saal mit Menü wollte meine Mutter auf gar keinen Fall.« Anita Demand lächelte Beetz traurig an.
»Aber man hat mir Ihre Adresse gegeben.«
»Ja. Aber ich bin nicht die, die Sie suchen.«
»Verstehe ich nicht. Sie sind Anita Demand?«
»Soll ich meinen Personalausweis holen?«
Beetz nickte. Sie konnte sich keinen Grund vorstellen, warum ihr Monique eine falsche Adresse gegeben haben sollte. Solch ein Betrug würde sofort auffallen. Und jetzt war er aufgeflogen, nur konnte sie ihn sich nicht erklären. Anita Demand verschwand im Flur. Im Hof schrien die Kinder.
»So ein Blödmann!«
Der Junge kam aus dem Wohnzimmer zurück und blieb im Türrahmen stehen. Er schaute mit großen Augen, nestelte an Hosenbund und Hemdknopf. Er getraute sich nicht, Beetz seine Fragen zu stellen. Dann atmete er kurz durch. So eine Chance kommt nie wieder, dachte er wohl.
Beetz lächelte ihm aufmunternd zu. »Langweilig drinnen?«
»Bist du wirklich eine Kriminalkommissarin oder ein Privatdetektiv?«
»Kriminalkommissarin.«
»Hast du schon viele Mörder
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