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Augen für den Fuchs

Titel: Augen für den Fuchs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henner Kotte
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Stille, nur ein defekter Kühlautomat summte leise. Er war nicht sicher, dass er die richtige Klinke gedrückt hatte. Obwohl eingedeckt war, aß niemand hier Schnitzel oder schlürfte Bouillon. Nur ein Biertrinker saß an der Theke und grüßte ihn mit seinem Glas. Hinter dem Tresen stand die Frau Wirtin, die an der Hotelrezeption seine Personalien aufgenommen hatte. Sie lächelte so freundlich wie bei seinem Empfang.
    »Tach«, sagte der Mann an der Theke. »Ännchen, lass aus’m Glas mal die Luft.« Und er schob sein Glas über den Tresen. Miersch fragte er: »Auch eins?«
    Miersch nickte, obwohl er lieber einen Wein getrunken hätte. Der Mann wies auf den Platz neben sich. Miersch nahm zögernd Platz. Der Biertrinker sah nicht aus, als ob er die Vierzig überschritten hätte, nur sein Haar wurde licht. Über einem stattlichen Bauch spannte sich ein ausgewaschenes T-Shirt, das einen Totenkopf unterm Stahlhelm zeigte: Feuerwehr – Ehre, Mut, Opfer. In Mierschs Heimat hätte solch Bursch Lederhosen, Kniestrümpfe und kariertes Hemd getragen.
    »Ännchen, zwee Biere. Große.«
    »Drei!«, krähte eine brüchige Stimme.
    Miersch sah sich um. Am Stammtisch in der Ecke saß eine Alte, die er bei seinem Eintritt nicht bemerkt hatte. Klein, grau und verhutzelt war sie vor dem schwarzbraunen Holzpaneel und unter den Nippes kaum zu erkennen. Auch trug sie eine dunkel geblümte Schürze. Ihre Lippen bewegten sich tonlos. Ihre Hände zitterten. Dauerwellen trug sie unterm Haarnetz.
    »Ja, Mutsch«, sagte die Wirtin und zapfte. Schräg hielt sie Gläser unter den Hahn, mit einem Spatel schob sie den Schaum ab.
    Dann nahm sie einen Bierdeckel aus der Halterung und setzte das Glas vor Miersch ab. Er griff danach. Der Henkel war feucht.
    Der Feuerwehrkamerad neben ihm sagte: »Prosit!« Dann ächzte er, als sei Biertrinken eine Qual oder Hochleistungssport. Mit leichtem Knall stellte er sein Glas auf die Theke und reichte Miersch seine Pranke: »Ich bin der Matze.«
    Miersch nahm den Namen zur Kenntnis, ohne sich zu erinnern, dass er schon jemals einem Matze begegnet wäre. Matze hatte einen sehr festen Händedruck und schwimmende Augen. Miersch war sein Opfer, der Kamerad bestand auf Konversation, das war ihm deutlich anzusehen. Die Wirtin war sicher bereits über die Details in Matzes Leben gut informiert, und der war froh, einem anderen davon erzählen zu können.
    »Kommste von weit her?«
    Nein, konnte Miersch nicht sagen. Er hätte diesem leutseligen Feuerwehrmann zu viel von sich und überhaupt etwas erzählen müssen. Leipzig war keine zwanzig Kilometer entfernt. Miersch entsann sich seiner alten Heimat, als wäre er von dort vertrieben worden und lebte heute im ostdeutschen Exil. »Oberbayern.«
    »Oberbayern. Und was machste nu hier?« Matze zeigte ins Rund. »Geschäfte?«
    Miersch schwieg. Die Wirtin blickte zur Mutsch hinter ihnen. Die trank ihr Bier, kleine Tropfen liefen ihr am Mundwinkel nach unten.
    »Wer aus Bayern kommt, macht hier Geschäfte.« Matze überlegte und strich sich dabei übers T-Shirt. »Oder biste bei ner Behörde?«
    »Nein.«
    Seinen Beruf wollte Miersch hier nicht nennen. Er fürchtete die sensationslüsternen Fragen zur momentanen Leipziger Kriminalität, zu Michelle und Mitja und Nadine, zu Discokrieg und Geiselnahme. Dazu wollte und durfte er weder Auskunft geben noch Stellung beziehen. Er hatte die Diskussionen satt, einfach satt. Mörder, Monster, Menschenschlächter. Überhaupt fragte er sich, was ihn hierher geführt hatte. Er hatte Philip Thede im Krankenhaus besucht, aber das war nicht seine Absicht gewesen.
    Das war ein Zufall. Die Bereitschaft hatte ihn aus dem Bett geholt und einen Mordfall im Neurophysiologischen Rehabilitationszentrum Leipzig gemeldet. Miersch war vor Margo und ihrem Liebhaber geflüchtet. Er befand sich noch immer auf der Flucht, sonst säße er nicht hier neben Matze von der Feuerwehr – Ehre, Mut, Opfer.
    »Urlaub?«
    »Nein.«
    Sie fielen ins Schweigen. Die Wirtin wischte über den Tresen. Auf der Straße fuhren Laster. Vorm Haus Zu den alten Eichen mussten sie bremsen. Die Motoren pfiffen und stöhnten und schienen im Gastraum zu bremsen. Die Scheinwerfer erhellten die Theke und verschoben Schatten zu sich verändernden Mustern. Die Gardinen vor den Fenstern zeichneten Spinnennetze, die stets wieder rissen. Mutsch nuckelte an ihrem Bier.
    »Nicht viel los hier«, stellte Matze fest und nahm einen Schluck.
    »Haste recht.«
    Miersch bedauerte es längst, in

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