Augen für den Fuchs
Ohrringe baumelten ihr bis zur Schulter. Die Haare waren sorgfältig in Locken um den Kopf gewickelt, die Lippen überschminkt.
»Sie wollen sich bei uns bewerben?«
Die Beetz griff bereits nach ihrem Ausweis, als Schmitt ihr dezent auf den Fuß trat. Sie mussten nicht sofort ihr Anliegen vortragen. Jeder Privatdetektiv im Fernsehen ermittelte auf diskretere Weise. Und die Beschäftigten von Time is Money hatten keinen Grund, mit dem Besuch der Polizei zu rechnen. Verdeckter Angriff, auf diese Taktik verstand sich Schmitt, nach eigener Meinung seine Spezialität.
Die Beetz stand erstarrt. Schmitt mühte sich um ein Lächeln. Auch ohne Erklärung bat sie die Dame herein.
»Dauert ein bisschen, die Frau Chefin hat Kundschaft noch. Sie chaben Zeit?«
Die Dame setzte die Zeit ihrer Besucher einfach voraus und nickte, dass die Locken sprangen. Dann verschwand sie im Büro neben der Tür. Jobsuchende suchten und konnten auch warten. Die Polizisten nahmen in Korbsesseln Platz. Auf einem Tischchen lagen die Tageszeitung und Prospekte jeglicher Art. Auch Sie können arbeiten! Kommen Sie zu uns. Mehr als 2000 Traumjobs! Wir beraten Sie gern. Schmitt drehte die Werbung auf die andere Seite und nahm zur Lektüre die Presse.
Kripochef außer Rand und Band? Schmitt hatte es nicht glauben können, als die Hohmann ihm heute Morgen die Schlagzeile vorlegte. Jetzt las er den Artikel zum dritten Mal und begriff noch immer nicht. Offensichtlich war Miersch im Krankenhaus Simona Thede begegnet. Und noch immer hüllen sich die Verantwortlichen in Schweigen. Philip Thede wurde bei einem Polizeieinsatz lebensgefährlich verletzt. Sein Freund starb. Seit Wochen wurde über den Fall diskutiert. Miersch hielt sich erstaunlicherweise bei der eigenen Rechtfertigung zurück, stellte sich vorbehaltlos vor die serbischen Kollegen, die die Entscheidungen getroffen hatten. Er leugnete nicht seine Verantwortung, aber er erklärte, dass die Vorgehensweise in diesem Fall sich nicht von anderen unterschied und die Aktion vorschriftsmäßig durchgeführt worden war.
Diese Frau kämpft um das Leben ihres Sohnes. Am Bett ihres Kindes traf sie auf den Einsatzleiter. Sie konnte nicht mehr und schlug zu. Wir haben die Bilder exklusiv!
Schmitt empfand kein Mitleid. Wer auf den Chefposten wollte, musste auch die damit verbundenen Konsequenzen tragen. Und dass Miersch nicht aus Nächstenliebe die Stelle des Kripochefs in Leipzig angetreten hatte, war bekannt. Er bekam ein höheres Gehalt, Busch- und andere Gefahrenzulagen. Massenweise hatten sich westliche Beamte auf diese Stellen beworben und behauptet, Ostdeutschen die Demokratie beibringen zu müssen. Viele der sozialistischen Kader wurden nicht weiterbeschäftigt. Akten aus Betrieben und Stasizentralen entschieden vor Qualifikation und Leistung. Schmitt beklagte sich nicht. Aber er erinnerte sich an die Leute, mit denen er gern zusammengearbeitet hätte. Annekathrein Liebsch, Frieder Hosfeld, Hartmut Queißer … es hatte einige gegeben, die ungerecht behandelt und aus Funktion und Dienst entfernt worden waren. Jetzt stand der Westchef im Fokus der Boulevardpresse. Schmitt hatte Miersch zwar nie leiden mögen, aber Schadenfreude empfand er nicht. Miersch hatte überlegt gehandelt, nicht in Panik. Dass der Fall trotzdem tragisch endete, war nicht ihm anzulasten. Wirklich nicht. Ein anderer aus dem Kollektiv der Kriminalpolizei, er, Kohlund, selbst Schabowski, hätte an Mierschs Stelle die Entscheidungen treffen können. Sie hätten nicht anders gehandelt … Jetzt sah der Direktor in der Öffentlichkeit tatsächlich nicht gut aus: Das Zeitungsbild zeigte, wie der Hingefallene versuchte, aufzustehen und irgendwo Halt zu finden. Er lag halb auf der Seite, ein Bein auf dem Boden. Sein Gesicht blickte zur Kamera. Blut lief ihm aus Mund und Nase. Er hielt eine Hand vor die Kameralinse. Ein Foto wie gemacht für die passende sensationelle Schlagzeile. Boulevard-Magazine würden sich darum reißen.
Time is Money. Die Beetz verbrachte die Wartezeit nicht im Sitzen. Immer wieder maß sie langsamen Schrittes den Flur. Einige Male huschten Gestalten mit Akten von einer Tür zur anderen. Die ältere Dame gewährte zwei weiteren Klienten Einlass. Die grüßten schüchtern und nahmen Platz, die Füße eng nebeneinandergestellt, das Täschchen exakt auf den Knien. Zu sprechen getraute sich keiner. Sie griffen zur ausgelegten Presse, blätterten interesselos die Seiten. Kripochef außer Rand und Band? Dann öffnete
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