Augen für den Fuchs
Seite gegeben. Und das zum Wochenbeginn! Noch vor Stunden hatte er den Sonntag in netter Begleitung ausklingen lassen. Marissa wusste nicht, dass er ein Bulle war, aber sie hatte ihn, ohne sich zu zieren, mit aufs Zimmer genommen. Dreißig Prozent Rabatt hatte sie ihm gewährt. Marissa schätzte seine Qualitäten. Ganz im Gegensatz zur niedlichen Kommissarin Franziska. Gegen vier Uhr früh war Schmitt ausgelaugt in sein eigenes Bett gesunken. Montagmorgen pünktlich acht Uhr Konferenz! Und da saßen sie alle, die Hackfressen, gereizt und übel gelaunt. Er hätte ein besseres Leben verdient. Und dazu noch dieser vertrackte Fall Stuchlik, der zum Fall Demand zu werden drohte. Mein Gott! Einzig der Kaffee der Hohmann rettete ihn.
»Thorst, du wirst Kollegin Beetz unterstützen.«
Das war die Umkehrung aller Werte. Er sollte die Beetz unterstützen, nicht sie ihn. Erst als er seine Sachen zusammenpackte, ging ihm die wahre Bedeutung von Kohlunds Anordnung auf. Sie hatte die Befehlsgewalt, er war Zubrot und Helfer in der Not. Auf seine diesbezügliche Nachfrage hatte Kohlund nur mit den Schultern gezuckt. Franziska hat bereits im Fall ermittelt, sie kennt die Fakten besser als du. Und irgendwann muss der Nachwuchs auch Verantwortung übernehmen. Wir werden nicht jünger. Schmitt war erstmals Kohlund gegenüber sprachlos, und sie kannten sich seit mehr als einem Vierteljahrhundert. Und eigentlich hätte ihm, Thorst Schmitt, der Chefposten der Mordkommission 2 im Leipziger Präsidium zugestanden. Jetzt zeigte Kohlund sein wahres Gesicht, er genoss es, sein Chef zu sein. Manchmal hatte Schmitt wirklich geglaubt, sie könnten so etwas wie eine Freundschaft aufbauen. Als die Kinder noch klein waren, hatten sie tatsächlich einige Stunden in der Freizeit miteinander verbracht. Aber dazu gab es jetzt keinen Grund mehr. Thorst, du wirst Kollegin Beetz unterstützen. Jawohl, zeigen würde er’s ihr.
»Kollegin, was schlagen Sie vor?«
Die Beetz überhörte seine Ironie, oder sie konnte sie einfach nicht begreifen. Schmitt würde die nächsten Arbeitstage hassen, das wusste er jetzt schon. Marissa hatte ihm ihre Handynummer gegeben. Hoffentlich hatte die heute keinen anderen Freier.
»Ich denke, wir besuchen diese Zeitarbeitsfirma. Die sitzen hier gleich um die Ecke. Wir können laufen.«
Bei der Berechnung der Strecke hatte sich die Beetz verkalkuliert. Sie waren mindestens zwanzig Minuten unterwegs. Schmitt hatte gehofft, dass sich die Kollegin in ihren Pumps Blasen laufen würde. Aber sie schien geübt und wäre den Weg zum Bahnhof wahrscheinlich auch ohnehin zu Fuß gegangen.
Schmitt wischte sich den Schweiß von der Stirn, als sie vorm Haus standen. Brauner Backsteinbau mit Simsen vor den hohen Fenstern. Ein Lieferanteneingang und ein Fahrstuhl für Kleintransporter und Paletten. Noch eine alte Fabrik, die man in Wendezeiten zu Büroräumen umgebaut hatte. Allerdings hatten damals Heerscharen von Investoren dieselbe Idee und Leipzig saniert. Jetzt litt die Stadt an einem Überangebot von Immobilien jeglicher Art. Die schmucke Gebäuderenovierung verblasste bereits. Nicht hinter allen Fenstern saßen fleißige Menschen an ihren Schreibtischen. Viele der Scheiben waren ungeputzt, einige sogar von Steinen zerschossen. Schmitt schätzte, dass ein Viertel des Hauses vermietet war. Maximal ein Drittel. TiM – Time is Money – vierter Stock unter dem Dach. Diese Etage sah noch am vertrauenerweckendsten aus.
Überzeugt von ihrer guten Kondition, nahm die Beetz immer zwei Stufen auf einmal. Schmitt stellte sich im Erdgeschoss an den Fahrstuhl, solch eine Hatz tat er sich nicht an. Wir werden nicht jünger, hatte Kohlund zu ihm gesagt. Unverschämt, Schmitt war keine fünfzig. Übertreiben musste Kohlund nicht. Das Training zweimal die Woche reichte Schmitt aus, um sich fit zu fühlen und fit zu sein. Der Chef trainierte auch nicht öfter. Eigentlich sah Schmitt ihn selten, wenn überhaupt in den Trainingsräumen. Der musste die Schnauze aufreißen …
Im Treppenhaus roch es noch immer nach Schmieröl. Die Wände hatten sich damit vollgesogen. Abgerissen hätte das Haus werden müssen, aber wahrscheinlich hatte der Denkmalschutz Einzigartiges unter dem alten Grauputz entdeckt. Schmitt hätte hier nicht arbeiten mögen. Aber was tat man nicht …
Der Fahrstuhl hielt mit einem Zischen. Die Türen schepperten. Als Schmitt im vierten Stock ankam, hatte die Beetz bereits geklingelt. Eine vollbusige ältere Dame öffnete ihnen.
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