Augen für den Fuchs
streicheln. Diese Geschichte war furchtbar. Ein Sexualmörder und ausgestochene Augen. Und zwei weitere Tote: Vater und Sohn. Das Haus der toten Augen nennen sie es. Miersch fragte sich, warum die Familie nach der Katastrophe nicht von Machern weggezogen war.
»Mutti hat dieser Vorverurteilung ihres Mannes und den Selbstmord Sebastians niemals akzeptiert. Wie könnte sie auch?«
»Aber Sie?«
»Was soll man tun, wenn die Realität keinen anderen Schluss zulässt?«
»Warum haben Sie diesen Ort niemals verlassen?«
Anne schob sich eine Locke aus ihrem Gesicht und blickte ihn an. »Mutter wollte es allen beweisen. Fortzuziehen hätte wie ein Geständnis gewirkt. Außerdem der Hof und das Wirtshaus … die Gäste sind nicht lange weggeblieben. Erst seit der Wende fehlen sie uns.«
Die junge Bedienung kam mit einer Zeitung in der Hand aus der Küche. Sie hielt sie ihm vor die Nase und tippte mit dem Finger auf das große Bild unter der Schlagzeile und kam ihm bedrohlich nah. Miersch schob den Stuhl zurück. Der Marmeladenlöffel klirrte auf den Teller. Das Mädchen schnaubte.
»Sind Sie das, hier auf dem Titel?«
Miersch sah auf das riesige Foto. Und er sah sich abgelichtet, in XXL. Er lag am Boden. Verschmiertes Blut im Gesicht. Unterlegen im Kampf. Hinter ihm stand Simona Thede. Sie hatte die Siegesfaust geballt. Er musste die Schlagzeile nicht lesen. Mörder. Monster. Menschenschlächter.
Anne nahm die Zeitung aus der Hand der Bedienung, las, schaute ihn, dann die Zeitung und dann nochmals ihn ungläubig an, sprang vom Stuhl. »Sie Schwein! Was wollen Sie hier? Uns endgültig fertigmachen? Das schaffen Sie nicht! Nie!«
Dann rannte sie in die Küche. Die Tür schlug. Das blonde Mädchen griff nach seinem Teller. Eine Haltung, als würde sie gleich selbst zuschlagen. Ein Blick, der ihn voller Verachtung an die Lehne nagelte. Die Lippen aufeinandergepresst. Das kecke Grübchen war aus ihrem Gesicht verschwunden, ohne Spuren zu hinterlassen.
»Raus! Machen Sie, dass Sie rauskommen, und lassen Sie sich nie wieder hier blicken!«
14
»Thorst, du wirst Kollegin Beetz unterstützen.«
Er hatte mit manchem Auftrag gerechnet, aber nicht mit diesem. Der Beetz ging er, wenn möglich, aus dem Weg. Die war ihm zu taff, zu selbstbewusst und zu zugeknöpft. Nie war die Beetz auf einen seiner Scherze angesprungen, sie hatte nicht mal die Lippen verzogen, geschweige denn, dass sie mit ihm einen Kaffee trinken gegangen wäre. Und das war nur ein Grund für seine Antipathie. In der Kantine nahm sie so weit wie möglich von ihm entfernt Platz. Hauptkommissar Thorst Schmitt wäre nicht abgeneigt gewesen, nähere Bekanntschaft zu schließen. Seit dem Tod seiner Frau war etwas in ihm zerbrochen. Und er wusste nicht einmal was, denn Gabriele und er hatten ja schon über ein Jahrzehnt nicht mehr zusammengelebt. Sie hatte einen neuen Partner gefunden. Auch seine Töchter hätte Schmitt bei einer zufälligen Begegnung nicht wiedererkannt. Eigentlich hatte er mit dem Kapitel Familie abgeschlossen, nicht wissend, dass Gabrieles Tod ihn aus der Bahn werfen würde.
Die Beetz schenkte ihm keine Beachtung und hatte sich diesem Skandaljournalisten Joseph Hönig an den Hals geschmissen. Für Schmitt wäre das Verhältnis ein Kündigungsgrund für die Dame gewesen. Aber Kohlund nahms nur zur Kenntnis, und selbst Miersch war das anscheinend egal.
Schmitt war auch dieser Fall Stuchlik suspekt, sie hatten lange diskutiert. Nichts war greifbar, weder Fakten noch Personen. Alles schien absurd und unerklärlich. Er glaubte, bei der Dienstberatung nicht richtig verstanden zu haben. Ein Todkranker, der erwürgt in seinem Sterbebett lag. Eine Nachtschwester, die gleich zweimal in Erscheinung trat. Und ein Kriminaldirektor, der sich am Tatort prügelte. Kripochef außer Rand und Band? All das hätte in einen Film gepasst, wo kuhäugige Polizistinnen mit Stöckelschuhen im Leipziger Auwald ermitteln. Blöder ging’s nimmer.
»Thorst, du wirst Kollegin Beetz unterstützen.«
Die Beetz hatte auf eigene Initiative ermittelt und war auf die Schnauze geflogen. Schmitt konnte seine Genugtuung nicht verhehlen. Hatte diese Anfängerin einfach mit der Nachtschwester und Hauptverdächtigen telefoniert und wunderte sich, dass die danach nicht mehr auffindbar war! Schmitt war sich sicher, die Beetz würde nie eine gute Kriminalistin, auch wenn sie der Ehrgeiz zerfraß. Und wegen ihrer Inkompetenz hatte Kohlund der Beetz ihn als seinen besten Mann an die
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