Augen für den Fuchs
gingen daneben. Dann beschrieb Queißer mit vollem Glas einen Halbkreis und fixierte Kohlund mit seinen stahlgrauen Augen. Auch Mierschs Züge wurden ernst.
»Mein Junge, der Konstantin …«
Wenn Queißers Sätze so begannen, folgten Belehrungen. Kohlund kannte das aus seinen frühesten Zeiten bei der Streifenpolizei. Nicht nur einmal war er unter dem Kommando Queißers zu Ermittlungen hinzugezogen worden. Wiesen hatte er durchkämmt und im Sand der Tagebaue nach Indizien gesucht. Queißer war freundlich im Umgang, aber knallhart in der Sache. Aber so hatten sich eigentlich alle Offiziere verhalten, wenn sich Kohlund richtig erinnerte. Klare Befehlsketten. Klare Strukturen. Gegenseitiges Vertrauen und Achtung. Nur unter Miersch war dieses Verhältnis durch Missgunst, Neid und Intrigen geprägt. Kohlund hatte es zuerst auf die neue Gesellschaft geschoben. Miersch selbst hatte ihn eines Besseren belehrt. Und jetzt sollte Kohlund sich mit diesem Chef aus Bayern an einen Tisch setzen. Ausgeschlossen. Der trank schon am Mittag.
»… der Konstantin ist auf der Suche …«
»Ich habe soeben den Fall des Augensammlers geklärt. Mit deiner Hilfe …« Miersch fiel Queißer ins Wort und hob sein Glas. »Auf diesen Erfolg, Hartmut. Ohne dich hätte ich den Fall niemals gelöst.«
Queißer stieß mit dem Kriminaldirektor an und wandte sich wieder Kohlund zu. »Einen mittrinken wirste ja können!«
Kohlund griff notgedrungen zum Glas. Als sie anstießen, schwappte es über. Ihm war es peinlich, er schien in eine vertraute Männerrunde geraten zu sein. Dass Queißer Miersch kannte, hatte er bislang ausgeschlossen. Mittlerweile arbeiteten die beiden offensichtlich schon gemeinsam an Fällen. Auch Kohlund hatte öfter bei seinem ehemaligen Chef wegen eines Falls Rat gesucht, da konnte es eigentlich nicht verwundern, dass die beiden sich trafen. Aber dass Miersch den Fall des Augensammlers hatte klären können, schien ihm absurd. Der Mörder war längst überführt. Die Akte lag seit mindestens zwanzig Jahren im Archiv. Kohlund konnte sich gut an den Fall erinnern. Unter Queißers Leitung hatten sie in den Wäldern um Naunhof Quadratzentimeter für Quadratzentimeter nach Beweisen abgesucht und nichts gefunden. Als Mörder hatten sie einen Macherner Wirt überführt. Dessen Sohn hatte ihn danach umgebracht. Eine Familientragödie. Was wollte Miersch da geklärt haben?
»Kontrollieren Sie unsere Arbeit?«
»Aber nein.« Miersch nippte an seinem Glas. »Nur kann man den Akten nicht immer glauben.« Der Direktor lächelte Queißer zu, als wären sie Verschwörer bei einem Akt der staatsgefährdenden Sabotage.
»Das sage ich seit der Wende, lieber Kollege.«
Dabei hoben die Alten ihre Gläser und leerten sie.
»Ihr aus dem Westen haltet alle Akten für ordentlich recherchierte Geschichte. Das sind sie nicht immer. Zwischen den Zeilen muss man lesen, zwischen den Zeilen. Und manchmal kann man es auch bleiben lassen.«
Kohlund wusste nicht, worüber die beiden Herren diskutierten. Miersch goss ihm noch einmal das Glas voll, obwohl er es nicht geleert hatte, und suchte dann Augenkontakt. »Lieber Kollege, ich habe eine Entscheidung getroffen. Es liegt mir nicht an Amt und Posten. Ich trete zurück. Die laufende Kampagne hat mich in dieser Entscheidung bestärkt. Lieber Kohlund, wie denken Sie darüber? Wären Sie nicht der richtige Mann, der meine Nachfolge antreten könnte?«
Miersch stieß beim Sprechen mit der Zunge an seine Zähne, auch ließ er die gewohnte disziplinierte Haltung vermissen. Sein Glas hielt er gerade, sonst lümmelte er im Sessel. Queißer nickte lächelnd zu seinen Worten und nickte und nickte. Kohlund kam sich vor, als hätte er bereits fünf Gläser Kognak genossen. Er verstand nicht, was sie von ihm wollten.
»Ich? Direktor? Wie stellen Sie sich das denn vor?«
»Was soll ich mir vorstellen? Sie ziehen in mein Büro und übernehmen die Leitung der Leipziger Kriminalpolizei. Sie sind lange genug bei der Truppe, als dass Sie nicht wüssten, wie man diese Aufgaben wahrnimmt. Und vielleicht meistern Sie manches besser, als ich es leisten konnte. Sie kennen die Behörde, haben Stallgeruch, sozusagen. Ich war eine zeitlich begrenzte Hilfe für den Aufbau Ost, sozusagen.«
Miersch geriet über seinen Scherz ins Husten. Queißer klopfte ihm den Rücken. Dann stand Miersch stramm, und auch Queißer erhob sich. Sie hielten Kohlund ihre Gläser entgegen. Er zögerte und wusste nicht, worauf das alles
Weitere Kostenlose Bücher