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Augenblick der Ewigkeit - Roman

Titel: Augenblick der Ewigkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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entkrümelte die Finger und nickte. Mit einer knappen Handbewegung bat er Herzog, Platz zu nehmen, dort, wo gerade noch der andere gesessen hatte. Der Sitz war noch ganz warm von ihm.
    » Ja– es gab ein ganz vorzügliches Essen, Filets de sarcelles à Périgueux und als Nachtisch Mandelsulz mit Himbeeren. Dann müssen Sie also der junge Klaviervirtuose sein mit dem beeindruckenden Abgang?«
    Herzog nickte erleichtert. Er hatte ihn also nicht vergessen.
    » Sollten wir damals nicht ein Saint-Saëns-Konzert zusammen machen? Sie waren ein außerordentlicher Pianist. Was ist aus Ihnen nur geworden? Wie ich sehe, spielen Sie jetzt hier in diesem Etablissement …«
    Herzog zuckte zusammen. Es war ihm peinlich, daß der Doktor ihn als den Barpianisten hatte spielen sehen.
    » …nur vorübergehend. Als Aushilfe. Ich, ich…« Er fing an zu stottern.
    » Schon gut, Sie brauchen sich nicht zu schämen. In diesen Tagen muß jeder sehen, wie er zurechtkommt.«
    » Deswegen habe ich es gewagt, Sie anzusprechen, Herr Doktor. Ich habe auf dem Konservatorium in Prag studiert und als Assistent von Franti š ek Neumann am Brünner Opernhaus dirigiert, dann als Kapellmeister im Redoutentheater am Krautmarkt…«
    » Ach, dann sind wir also Kollegen?«
    Herzog nickte. » Ich wollte nicht in der Provinz versauern und habe fast alle Opernhäuser abgeklappert.«
    » Und hatten keinen Erfolg damit, wie ich sehe. Kopf hoch, junger Mann. Sie sind noch jung. Ihre Zeit kommt noch.«
    Damit war der Dirigent aufgestanden und winkte dem bereitstehenden Pagen, ihm seine Garderobe zu bringen. Herzog fürchtete, daß Furtwängler im Begriff war aufzubrechen, noch bevor er seine Bitte vorbringen konnte. Rasch nahm er dem Pagen Hut und Mantel ab, um dem Dirigenten selber behilflich zu sein.
    » Erich Mangold hat mich in seiner Agentur aufgenommen.«
    Der Dirigent strecke ihm beide Arme hin, indem er sein Kinn fest auf die gekreuzten Enden seines Seidenschals preßte. » Ein sehr guter Agent. Wenn er Sie in seine Agentur aufgenommen hat, scheinen Sie ja etwas vom Handwerk zu verstehen.«
    Mit Herzogs Hilfe gelang es ihm, mit beiden Armen zugleich in die Armlöcher zu schlüpfen und sich den Mantel mit einem Ruck über die Schultern zu werfen.
    » Ihm habe ich auch dieses vorübergehende Engagement hier zu verdanken, als Überbrückung sozusagen, bis sich die Gelegenheit zu einem Probedirigat bieten würde. Vielleicht könnte ich bei Ihnen…« Herzog verstummte. Er strich mit seinem Frackärmel verlegen über den Velours des Hutes, bevor er ihn dem Dirigenten aushändigte, und wagte nicht aufzuschauen. Der Dirigent, der einen Kopf größer war als er, drehte sich langsam um und blickte nachdenklich auf ihn herunter.
    » Verstehe, und jetzt wollen Sie es bei mir mit meinem Orchester mal versuchen?«
    Das Konzerthaus der Berliner Philharmoniker, eine im Stil des Historismus umgebaute ehemalige Rollschuhbahn, lag gleich hinter dem Anhalter Bahnhof im nördlichen Kreuzberg, nicht weit von Herzogs Absteige entfernt. Es war im engeren Sinn kein Gebäude, da ihm die Außenfassaden fehlten, sondern eine Ansammlung überdachter Konzertsäle, verschachtelt in einem Innenhofareal, eingefaßt von den Mietshäusern entlang der Köthener Straße im Westen, der Bernburger im Norden, der Dessauer im Osten und im Süden vom Hafenplatz am Landwehrkanal. Hier schwang Doktor Wilhelm den Stab, der die » Berliner« zu seinem eigensten, zu seinem Furtwängler-Orchester geformt hatte. » Zu Furtwängler gehen« bedeutete ein Bekenntnis zur Verbundenheit mit dem geistig-künstlerischen Leben Berlins, und zu seiner Gemeinde gehörten Künstler, Wissenschaftler, Männer des Staates, » aus Parteien, Wehr und Wirtschaft«, wie ausnahmslos alle, die von der Herrlichkeit seiner symphonischen Musik erfüllt waren.
    Seit damals in Wien, als er seinem Idol zum ersten Mal begegnet war, hatte Karl wohl kaum einen Tag seines Lebens verbracht, ohne an Doktor Wilhelm denken zu müssen, dem es allein durch seinen Taktstock gelungen war, sich zum Herrscher des musikalischen Deutschlands aufzuschwingen, und der mit seinen Philharmonikern die Konzertsäle der Welt eroberte. Er war fasziniert von der Leichtigkeit und Eleganz, mit der der Doktor seine ehrgeizigen Ziele verfolgte, und fast neidisch, wie die Erfolge ihm nur so zuflogen. Wenn er sich in seiner schäbigen Bude in manchen Nächten schlaflos wälzte und sich in Zukunftsträumen verlor, war die Karriere seines Idols Versprechen und

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