Augenblick der Ewigkeit - Roman
und die » Kindchen« genannte Sängerin rauschte mit zorniger Bestimmtheit in einer Wolke starken Parfüms an Herzog vorbei. » …um jemals eine erfolgreiche Sängerin zu werden, müssen Sie sich schinden bis zum Letzten!«
Ihre Absätze knallten aufs Parkett, und eine Hand war auf ihren Oberschenkel gepreßt, als wollte sie ein Stilett verbergen, das sie am Strumpfgürtel trug. An der Pendeltür zur Wartehalle blieb sie stehen und schleuderte wütend ihre Haare in den Nacken. » Der Tag wird kommen, dann haben Leute Ihres Blutes in diesem Land nichts mehr verloren, Herr Mangold. Dann wird es Zeit, daß Sie und Ihresgleichen die Koffer packen!«
Der Impresario zuckte mit den Schultern und bat Herzog zu sich ins Büro. » Das hört man sie jetzt öfters auf den Straßen brüllen und auf ihren Parteiversammlungen verkünden.« Er bot Herzog einen Stuhl an, öffnete das Fenster, und während sich allmählich der Parfümgeruch verflüchtigte, blickte er dem » Kindchen«, das die Potsdamer Straße überquerte, hinterher. » Nach dem Erdrutschsieg im Juni bei der letzten Reichstagswahl fürchte ich, die Dame könnte recht behalten.«
Draußen wehte ein milder Sommerwind, und über der Stadt strahlte die Sonne. » Führerwetter sagt man ja jetzt, statt Kaiserwetter. Und den völkischen Senf schmeckt man bereits auf jeder Wurststulle. Ja, ich fürchte, der Tag wird kommen, da wird man uns aus dem Land vertreiben!«
Die Tür zum Vorzimmer wurde geöffnet, und der blonde junge Mann von gerade eben legte geräuschlos eine Sammelmappe auf den Schreibtisch.
» Danke, Krausnik, und stellen Sie mir die Zeitungsausschnitte zusammen, die sich mit Furtwänglers Artikel in der Vossischen Zeitung, seiner Antwort auf Tietjen und Winifred Wagner sowie der ganzen Bayreuthaffäre befassen. Selbst ein so berühmter Mann wie er kann es sich heutzutage nicht einfach leisten, den Bayreuther Festspielen einen Korb zu geben.«
Ebenso geräuschlos, wie er gekommen war, zog Krausnik sich zurück. Mangold schätzte den wendigen Mann, den er zu seinem Assistenten gemacht hatte. » Er hat die besten Beziehungen zu Alfred Rosenberg und seinem NS-Kampfbund für Deutsche Kultur, die bereits den Boden für die zu erwartenden politischen Säuberungen vorbereiten. In unsicheren Zeiten wie diesen kann man nie umsichtig genug sein.«
Der junge Krausnik, der aus Zürich stamme, sei eine Art Rückversicherung für sein Unternehmen, um für den Fall der Fälle auch ein Spielbein in der neutralen Schweiz zu haben. Er war gebildet, hatte gute Manieren und war stets bestens informiert, benutzte aber, wenn es sein mußte, sein Wissen skrupellos, um neue Kontakte anzubahnen. Binnen kurzem war es ihm gelungen, sich in der Agentur so gut wie unentbehrlich zu machen, indem er es verstand, mit seiner eloquenten Verhandlungsführung und seiner Schweizer Mehrsprachigkeit in- und ausländischen Konzertveranstaltern die eigenen Künstler anzupreisen, während er die der Konkurrenz zuvor schlechtgemacht hatte.
Es war das erste Mal, daß Herzog bis ins » Allerheiligste« der Agentur vorgedrungen war. Die Wände hingen voll von gerahmten Zeitungsausschnitten, Urkunden, Preisen, Diplomen und Dankesschreiben aus glorreicher Zeit, die dem Untergang geweiht war, sollten die Nazis ihre Drohungen wahr machen.
Erich Mangold thronte wie ein Fleischgebirge hinter seinem Schreibtisch. Er hatte die Hände, die im Verhältnis zu seiner Gesamtmasse erstaunlich klein und zierlich waren, über den Bauch gefaltet, während seine korpulenten Beine, die er kaum noch übereinanderschlagen konnte, wie Tempelsäulen auf dem Fußboden ruhten. Er trug eine Weste über dem gestreiften Hemd und steife Kragen, die meistens vorne offen standen, während sie unter dem Nackenwulst am hinteren Hemdensteg von einem Kragenknopf gehalten wurden. Dazu breite Hosenträger, die funktionslos und in großen Schleifen rechts und links an ihm herunterhingen, indes die Hose von einem schmalen Gürtel gehalten wurde, der in seinen weichen Bauch eine tiefe Falte kerbte.
» Hören Sie, Herzog, Sie müssen noch ein wenig Geduld haben. Ich tue, was ich kann, aber heutzutage werden aufstrebende Kapellmeister wie Sie so gut wie nicht gesucht. Ich schätze Ihr Talent, wenn Sie das noch nicht gemerkt haben sollten, denn in Ihnen steckt geschäftlich einiges drin. Fürs erste hätte ich da etwas anderes, zur Überbrückung sozusagen, eine etwas delikate Angelegenheit.«
Er machte eine Pause, ordnete mit seinen
Weitere Kostenlose Bücher