Augenblick der Ewigkeit - Roman
kleinen Händen die Papiere in der Sammelmappe und angelte dann behende eine Pfeife aus seiner Brusttasche. » Mir liegt hier eine Anfrage der Direktion des Kaiserhofs vor, ein eher nationalkonservatives Haus, wenn Sie verstehen, was ich meine. Ich muß also wissen, auf welcher Seite Sie politisch stehen.«
» Politik interessiert mich nicht, wenn ich nur wieder in meinem Metier arbeiten kann.«
» Das sollte sie Sie aber, wenn Sie in diesem Land etwas werden wollen. Sind Sie Parteimitglied?«
» Nein, und ich habe auch nicht die Absicht. Braune Jacke zur schwarzen Hose, die Herren scheinen keinen Geschmack zu haben.«
» Leider ist die Weltanschauung dieser Herren keine Frage des Geschmacks, sondern eine Überlebensfrage für uns alle, Sie Menschenskind!« Die verschmitzte Biederkeit war aus dem Gesicht des Konzertagenten verschwunden. » Gott der Gerechte steh uns bei, wenn diesen Marktschreiern und Schwaflern je die politische Zukunft Deutschlands gehören sollte. Reden wir also nicht länger von Politik, reden wir vom Geschäft. Als Pianist könnte ich Sie nämlich dort vielleicht für eine Weile unterbringen.«
Er sah, wie Herzog zusammenzuckte. Selbst auf seiner erfolglosen Bewerbungstournee durch die Provinz hatte er alle Angebote, sich als Korrepetitor zu verdingen, abgelehnt.
» Gut, wenn Sie nicht wollen, dann eben nicht. Draußen sitzen genügend andere, die mit Kußhand …«
» Nein, Herr Mangold, so war das nicht gemeint. Ich wäre Ihnen sogar sehr verbunden.«
Von irgend etwas mußte er schließlich leben. Die Absteige im Wedding war nichts auf Dauer.
» Dann also abgemacht. Hier haben Sie einen Vorschuß. Lassen Sie sich die Haare schneiden, Ihre Hemdenkragen stärken und Ihren Smoking aufbügeln. Im Kaiserhof suchen sie einen Aushilfspianisten zum Five o’clock Tea in der Halle. Es handelt sich, wie gesagt, um eine etwas delikate Angelegenheit, wie mir die Direktion ausrichten ließ. Sie wollen keinen, der eventuell rot in der Wolle gefärbt sein könnte. Ich weiß nicht, ob Sie wissen, daß im obersten Stockwerk Doktor Goebbels die Parteizentrale und seine Propagandaabteilung untergebracht hat. Ach ja, und nehmen Sie ein Bad, bevor Sie sich dort vorstellen.«
Im Grandhotel am Wilhelmsplatz, einem Prachtbau aus der Gründerzeit, verkehrten Industrielle, Lobbyisten, Presseleute und Politiker aus den nahe gelegenen Ministerien und dem Reichstag, und es war kein Geheimnis, daß nach dem erdrutschartigen Sieg der Juniwahl die Nationalsozialisten hier ihr Hauptquartier aufgeschlagen hatten.
Herzog schraubte den Klavierhocker auf die richtige Höhe und öffnete den Deckel. Seine Hände lagen unbeweglich auf den Tasten des Flügels wie Handschuhe auf einem Tisch. Jetzt war er wieder dort gelandet, wo er als kleiner Junge angefangen hatte: Tanzmusik. Er gab sich einen Ruck, und nach ein paar Läufen, die das Plaudern der Gäste dämpfen sollten, fing er an zu spielen.
Der weißlackierte Flügel stand auf einem kleinen Podest zwischen Palmenwedeln und Blumenbouquets am Eingang zum Saal, von wo aus man sowohl die Halle mit ihren kannelierten Säulen als auch die Tanzfläche im Auge hatte. Herzogs Hände glitten wie automatisch über die Tasten, ohne daß er darauf achten mußte, und während er die alten Evergreens spielte, ließ er seine Blicke schweifen.
Tageslicht fiel durch eine Glaskuppel auf die Tanzfläche, um die zwei Dutzend Lederfauteuils gruppiert waren, in denen man plaudern und den Paaren zuschauen konnte, die auf dem Parkett ihre Runden drehten. Der High Tea wurde nebenan im Restaurant serviert, in dem auch tagsüber die Kronleuchter brannten. Kellner mit bodenlangen weißen Schürzen schoben ihre mehrstöckigen Servierwagen mit Kanapees und kleinen Sandwiches durch die Tischreihen.
An warmen Sommertagen waren die Schiebetüren zur Straßenterrasse hin geöffnet. Unter einer ausladenden Markise saßen dort einige wenige Gäste in Hut und offenem Jackett und verfolgten wie von Logenplätzen aus den Verkehr auf dem Wilhelmsplatz und das fortwährende Kommen und Gehen der Gäste. Herrschaften, die hinter beladenen Gepäckträgern herauskamen und in ihre Taxis stiegen, oder Neuankömmlinge, die vom Hotelportier hereingeleitet wurden in die Hotelhalle mit der distinguierten Atmosphäre und dem Flair eines internationalen Hauses. Es war ein ständiges Hin und Her. Trotzdem fiel kein lautes Wort, keine störenden Geräusche belästigten die Klientel, nur hier und da erklang die Glocke an
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