Augenblick der Ewigkeit - Roman
der Rezeption mit einem unaufdringlichen Bing oder das Klingeln eines Telefons. Über allem aber lag wie ein dämpfendes Klanggewebe das geschmeidige Parlando seines Klavierspiels.
Plötzlich zuckte er zusammen. Ein großer Mann mit steifem Hut und einem Mantel, viel zu warm für diese Jahreszeit, hatte die Halle betreten. Ein Page nahm ihm die Garderobe ab, während der Mann sich suchend umschaute und mit beiden Händen über die seitlichen Haarpartien strich. Herzog machte sich hinter seinem Instrument so klein er konnte. Am liebsten wäre er im Erdboden versunken, um von Furtwängler nicht erkannt zu werden, obwohl er sich sagte, daß ihre Begegnung stattgefunden hatte, als er noch ein Junge war. Gleichwohl überlegte er, wie er es anstellen könnte, an den berühmten Dirigenten heranzukommen und ihn vielleicht um ein Probedirigat zu bitten.
Da wurde es noch stiller in der Hotelhalle, und alle Augen richteten sich auf die Freitreppe, auf der ein etwa vierzigjähriger Mann in Begleitung einiger Herren herunterkam, der mit seinem schwarzen Schnurrbart und der unverwechselbar in die Stirn gestrichenen Scheitellocke eher aussah wie ein Bohemien als ein Politiker, den sich dreizehn Millionen Wähler immerhin als ihren Kanzler wünschten. Als Hitler den Dirigenten in der Halle stehen sah, nahm er die letzten Stufen schneller und streckte schon auf halbem Weg beide Arme aus. Sie gingen aufeinander zu, der eine einen Kopf größer als der andere. Hitler nahm die Hand des Dirigenten und drückte sie mit seinen beiden Händen, wobei er ihm unverwandt in die Augen schaute und ihn am Ellbogen mit sich zog. Ein Kellner folgte ihnen mit Gebäck und Tee in einen separaten Bibliothekssalon und deckte einen der Lesetische, an dem die beiden Herren Platz genommen hatten.
Es war das erste Mal, daß Herzog Hitler aus der Nähe sah. Sonst hatte er ihn öfter mal im Radio reden hören oder ihn in Wochenschauen gesehen, wenn er mit Marschmusik und unter ekstatischen Heilrufen zu einer seiner Wahlreden in den Sportpalast einmarschierte, um sich mit der enthemmten Masse in erotischer Inbrunst zu vereinigen. Es waren suggestive Bilder, in denen ihn die Menge als ihren Erretter und Erlöser begrüßte, die auch auf Herzog ihre Wirkung nicht verfehlten.
Er hatte die ihm zustehende Tanzpause genutzt und aufgehört zu spielen und wartete insgeheim auf seine Chance. Aus der Zeitung wußte er, daß Furtwängler der » Herrin von Bayreuth«, Winifred Wagner, für die Spielzeit 1932 einen Korb gegeben hatte, nachdem es im Jahr zuvor zu einem Zerwürfnis gekommen war, was offensichtlich die Mißbilligung Hitlers gefunden hatte.
Er konnte zwar nicht hören, was die beiden Herren miteinander sprachen, an der Art aber, wie das Gespräch nach einer anfänglichen Plauderei immer einseitiger wurde und in einen Monolog des Führers mündete, konnte er erkennen, daß der angehende Reichskanzler dem Dirigenten Vorhaltungen machte, im Verlauf deren Furtwängler ihm einen Zeitungsausschnitt präsentierte, den dieser nur verächtlich vom Tisch wischte. Danach strich er seinen Bürstenschnurrbart mit der Hingabe eines Musikers, der sein Instrument stimmte, während der Dirigent schweigend seinen Zeitungsausschnitt vom Boden auflas und ihn zurück in seine Brieftasche legte. Jede Widerrede im Keim erstickend, stand Hitler auf und erklärte laut mit Stentorstimme: » Das werde ich in Ordnung bringen! Denn ich habe die Absicht, wenn wir an der Macht sein werden, aus dem Bayreuther Festspielhaus einen Tempel der Bewegung zu machen, und da dürfen Sie, Deutschlands erster Dirigent, nicht fehlen. Ich glaube, wir haben uns verstanden, mein lieber Doktor!«
Während Hitler durch die Hotelhalle zum Ausgang eilte, wo eine Wagenkolonne seiner SA-Eskorte schon auf ihn wartete, blickte Furtwängler ihm konsterniert hinterher. Er machte auf Karl den Eindruck eines Mannes, der nicht so recht wußte, was er von so einem Menschen halten sollte, der einfach über ihn verfügte und keine andere Ansicht gelten ließ als die eigene.
» Entschuldigen Sie, Herr Doktor…« Herzog hatte sich ein Herz gefaßt und unbemerkt den Bibliothekssalon betreten. Der Dirigent, der wieder Platz genommen hatte, hielt inne und schaute zu ihm hoch. » …ich weiß nicht, ob Sie sich an mich erinnern. Ich durfte Ihnen auf dem Klavier vorspielen, vor Jahren in Donnerskirchen am Neusiedler See, Hofrat Wertheimer…«
Doktor Wilhelm legte das Gebäck erneut zurück auf seinen Teller,
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