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Augenblick der Ewigkeit - Roman

Titel: Augenblick der Ewigkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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der Ehegatten erklang, » wie in seliger Freude ermattend«. Dann folgten die energischen Schlußakkorde, und Doktor Wilhelm legte seinen Taktstock nieder.
    » Sehr gut! Meine Herren, das war’s für heute. Ich möchte Sie jedoch bitten, noch ein paar Minuten zu bleiben. Wir haben hier unter uns einen jungen Kandidaten, der uns zeigen möchte, was er kann.«
    Er blickte hinunter in den dunklen Saal. » Sind Sie da? Dann kommen Sie schon rauf!«
    Karl kletterte über ein provisorisches Treppenpodest auf die Bühne.
    » Ich schlage vor, Sie versuchen es mit demselben Stück, das wir gerade geprobt haben.«
    Damit übergab er Karl seinen Dirigierstab. Karl hatte die Leonoren-Ouvertüre gründlich studiert, ohne zu wissen, daß sie ihm für das Probedirigat vorgesetzt werden würde. Das Gefühl, sie jetzt mit einem solchen Orchester dirigieren zu dürfen, zugleich aber seine Freude darüber zu verbergen, brachte ihn so außer sich, daß seine Bewegungen etwas Schroffes bekamen und er vor Aufregung fast den Taktstock fallen ließ.
    » Auch um einmal den Unterschied zu hören. Machen Sie mir also keine Schande, meine Herren!«
    Diese so leicht hingeworfene Bemerkung machte Karl zu einem anderen Menschen. Es war, als hätte man ihm einen Eimer kalten Wassers über den Kopf gegossen. Er kam sich plötzlich vor wie ein kleiner Junge, der den Erwachsenen ein Liedchen vorsingen soll, nur um zu beweisen, daß er noch zu klein dafür ist. Er biß die Zähne zusammen und stieg aufs Podium. Die Orchestermusiker begrüßten ihn freundlich, indem sie mit ihren Violinbogen auf die Notenblätter klatschten, und schauten ihm erwartungsvoll entgegen. Eine quälend lange Minute stand er da mit gesenktem Kopf und hängenden Armen. Nur die Fingerspitzen bewegten sich nervös. Er wußte, alles kommt jetzt auf den Auftakt an, und dann mußte er die folgenden Schläge so setzen, daß sie stets Bruchteile von Sekunden vor den jeweiligen Tönen lagen, um den Musikern Zeit zu lassen, sich darauf einzustellen.
    Er hatte schon viel von Furtwänglers eher unpräzisem Auftakt gehört, bei dem der Taktstock erst nach mehrmaligem zuckendem Ausschlag federnd auf dem Schwerpunkt landete, so daß man sich erzählte, die Musiker hätten sich darauf geeinigt, erst einzusetzen, wenn der Stock des Dirigenten bestimmte untere Regionen seiner Frackjacke erreicht habe. Aber das war sicherlich nur eine gut erfundene Anekdote. Der Doktor stand mit verschränkten Armen an die Eingangstür zum Dirigentenzimmer gelehnt, von wo aus er ihn wie die Orchestermusiker von vorne begutachten konnte.
    » Coraggio, Maestro– nur immer zu!«
    Einige lachten. Doch Karl ließ sich nicht aus dem Konzept bringen.
    » Und denken Sie daran, junger Freund. Die ganze Musik der Leonoren-Ouvertüre entwickelt sich aus dem ersten Takt heraus. So, wie dieser angeschlagen wird, muß alles weitere logisch daraus hervorgehen, auch das Tempo.«
    Seine Stimme hatte etwas spöttisch Belehrendes. Wollte er ihn verunsichern? Karl tat, als hätte er den Ratschlag überhört. Er holte Luft, entschlossen, alles auf eine Karte zu setzen– es ihm jetzt zu beweisen. Demonstrativ schlug er die Partitur zu. Ein leises Raunen ging durchs Orchester. Dann hob er beide Arme. Der Auftakt kam präzise und auf die im Streicher unisono erklingende Dominante folgte das weitgesponnene, ziellos suchende Präludium.

    Er achtete darauf, daß gegen Ende hin im neunten Takt die Noten der Modulation nach Es-Dur ein kleines bißchen kürzer kamen, und spürte sofort, wie das Orchester ihm elastisch folgte. Wechselnd steigend und sinkend schien die Melodie einem fest umrissenen musikalischen Gedanken ausweichen zu wollen, bis endlich die Violinen, rezitativartig überleitend, ein leise klagendes c-Moll-Thema intonierten, Leonores Suchen nach dem vermißten Ehegatten.
    Aus dem verhauchenden Abschluß entwickelte sich ein neues emporstrebendes Motiv. Kraftvoll anschwellend führte es mit einem lebhaften Ansturm zu dem aufjauchzenden Allegro-Thema. Karl hatte bis dahin nur mit kleinen Bewegungen, eher aus dem Handgelenk als aus dem Arm heraus, das Orchester geführt. Jetzt holte er weit aus, legte all seinen jugendlichen Elan in seine Schlagtechnik, und der enthusiastische Befreiungsjubel Leonores erklang, als würde sie mit » namenloser Freude« an die Kerkerpforten pochen, um sie dröhnend aufzustoßen.
    Er mußte auf die Holzbläser achten. Blech und Streicher waren, wie oft an dieser Stelle, ein wenig zu laut. Er

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