Augenblick der Ewigkeit - Roman
Phantasmagorien zu wehren, und sank auf eine Bank. Er faltete die Hände und betete, wie er es in seiner Kindheit gelernt hatte.
» Der Herr ist mein Hirte…«
» Sie glauben doch nicht im Ernst, Gott sei ein Wesen, das uns auf einer grünen Aue weidet?«
Karl drehte sich um. Hinter ihm saßen zwei junge Männer, die völlig identisch miteinander waren und ihre Arme synchron über die Vorderbank legten. Die blonden Haare hatten sie wie Pennäler mit Pomade und einem scharfen Mittelscheitel so gekämmt, daß ihnen Strähnen in die Stirne fielen. Sie waren in dunkles Tuch gekleidet, das vom Regen naß geworden war, und im Knopfloch ihrer Jacketts steckte je eine weiße Nelke.
» Mit Gott kann man nie vorsichtig genug sein. Er rührt oft machtvoll an das eigene Gefühl des Ungenügens, an die Lebensangst, an das, was wohl die Zukunft bringen wird…« Merkwürdig– sie sprachen mit nur einer Stimme, die rauh und kehlig klang, wie die alemannisch gefärbte Stimme jenes jungen Mannes, den er vor ein paar Tagen in der Agentur Mangold kennengelernt hatte. » …so daß einem kein anderer Ausweg bleibt, als sich in Seine Arme zu flüchten.«
Karl rang nach Luft und starrte auf die beiden Männer, bis er endlich begriff: der Anfall ließ ihn, wie nach einem Alkoholexzeß, den jungen Krausnik doppelt sehen.
» WokommenSiedennaufeinmalher?« Er mußte alle Kraft aufbieten, um den Satz einigermaßen verständlich herauszubringen.
» Ich bin Ihnen gefolgt. War nicht ganz einfach. Sie sind ja wie von Furien gejagt aus der Philharmonie gestürzt. Sie hatten doch keinen Grund dazu. Ich fand Ihr Probedirigat kolossal. Alle waren begeistert. Hat er Ihnen das denn nicht gesagt?«
Karl schüttelte den Kopf. Die disparaten Konturen seines Gegenübers schoben sich allmählich zu einem einzigen Bild übereinander, und langsam beruhigten sich seine Nerven wieder. Die Angst, verrückt zu werden, der verlorene Realitätsbezug, der ihn gerade noch so entsetzt hatte– alles war wie weggewischt. Die Dinge um ihn herum erschienen ihm wie zuvor wieder normal, in all ihrer Banalität und Gewöhnlichkeit.
» Nein, nichts, niemand…« Endlich konnte er auch wieder sprechen.
» Er schien schwer beeindruckt von Ihnen gewesen zu sein. Wissen Sie, er ist ein großartiger Mann, der allerdings zuweilen etwas kleinlich ist. Besonders dann, wenn jüngere Talente auftauchen wie Sie. Wittert in jedem einen zukünftigen Konkurrenten. Gerade in unserer neuen Zeit, die von Jugend und Aufbruch geprägt ist, hat er Angst, zum alten Eisen geworfen zu werden. Glauben Sie mir, er wird nicht den kleinsten Finger für Sie rühren.«
» Sie sind mir hinterhergelaufen, nur um mir das zu sagen?«
Krausnik schürzte seine Lippen auf fischige Weise und zwinkerte Herzog zu. » Nein, sondern um Ihnen ein Geschäft auf Gegenseitigkeit vorzuschlagen. Sie akzeptieren mich in Zukunft exklusiv als Ihren Agenten, und ich garantiere Ihnen eine Karriere, die der seinen ebenbürtig sein wird.«
» Aber ich stehe bei Ihrem Chef Mangold unter Vertrag, und Sie sind einer seiner Angestellten.«
» Fragt sich nur, wie lange noch. Sie können mir vertrauen. Bald wird es in diesem Land ein großes Stühlerücken geben, und ich habe beschlossen, dann ganz oben mitzumischen.«
Er streckte ihm seine Hand entgegen. » Kommen Sie, Partner, greifen Sie zu! Zusammen werden wir unschlagbar sein!«
Karl zögerte. In seinem benebelten Hirn kam ihm dieses überraschende Angebot nicht ganz geheuer vor, als hätte es womöglich einen Pferdefuß, oder dieser selbstbewußte smarte Jüngling könnte sich in einen Pudel verwandeln.
» Was schauen Sie so mißtrauisch? Ich beiße nicht. Also gut…« Er ließ seinen Arm wieder sinken. » …dann werde ich Ihnen beweisen, wie ernst ich es mit Ihnen meine. In der Philharmonie habe ich nach Ihrem Probedirigat ein Gespräch unseres Doktors mit Königin Louise belauscht…«
» Königin wer?«
» …Louise Wolf ist die Leiterin der Konzertdirektion Wolff&Sachs, unsere schärfste Konkurrentin– und ich habe zufällig erfahren, daß man für die nächste Spielzeit an der Sächsischen Staatsoper einen Jungdirigenten als einen zweiten oder dritten Kapellmeister sucht. Furtwängler hat natürlich nicht Sie, sondern einen seiner beiden Assistenten empfohlen, der sich dort morgen beim Generalmusikdirektor bewerben soll. Wir aber werden ihm einen Strich durch die Rechnung machen.«
» Und wie?«
» Ganz einfach! Indem wir ihm zuvorkommen. Denn im
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