Augenblick der Ewigkeit - Roman
wie zwei Hühner, die nach Körner picken. » Dad bekam ihn von der Meißner Porzellanmanufaktur zu seinem zehnten Dienstjubiläum geschenkt…«
» …ein halbes Jahr bevor wir emigrieren mußten.«
» Von da an wurde der– Gartenzwerg unser lar familiaris…«
» …ein Schutzpatron, der unsere Odyssee begleitete und uns stets daran erinnern sollte, woher wir kamen.«
» Jeder Gast, der zum ersten Mal das Haus betritt, muß sich mit ihm fotografieren lassen.«
» Das war bei Ihrem Vater auch nicht anders.«
» Nicht wahr, Franziska, du erinnerst dich noch…«
Franziska nickte. Sie streichelte die gefleckte Riesendogge, diemit eingeknickten Vorder- und Hinterläufen auf dem Rücken lag.
Joachim fügte sich in das Unvermeidliche und setzte seine Brille auf. Er legte den Kopf schief und blickte direkt ins Objektiv, während Sophie auf den Auslöser drückte. Ungeduldig zerrte sie das Polaroid aus dem automatischen Ausgabeschlitz und hauchte auf den Glanzkarton, bis sich das Bild entwickelt hatte. Als es zum Vorschein kam, machte sie ein enttäuschtes Gesicht.
» Schade, Sie sehen Ihrem Vater gar nicht ähnlich– was meinst du, Anna?«
» Laß sehen.« Anna nahm ihr das Polaroid aus der Hand, und beide verschwanden in einem holzgetäfelten Studio, in dem die Vorhänge zugezogen waren. Sie machten Licht, um es im Gästebuch mit jener Fotografie zu vergleichen, die Karl und Franziska vor mehr als dreißig Jahren vor derselben Säule zeigte, allerdings in einem anderen Haus, als sie so alt waren wie Joachim heute. Joachim war ihnen neugierig gefolgt. Es roch nach abgestandener Luft, als wäre der Raum schon lange Zeit nicht mehr gelüftet worden.
In seiner Mitte stand ein Bösendorfer-Flügel vor einer kolorierten Prospektleinwand, die an die Elblandschaft der Sächsischen Schweiz erinnerte, daneben ein langgestreckter Arbeitstisch, auf dem Partituren wie Tapeten ausgerollt lagen, beschwert von Tintenfässern mit roter, blauer und grüner Tinte, sowie mehrere Glaskugeln, die man schütteln konnte, um wilde Schneestürme über dem Zwinger oder der Semperoper zu erzeugen. Meißner Porzellanfiguren standen in Vitrinen und Steiff-Teddybären blickten von einem Bord auf eine Märklin-Eisenbahn hinab, die ahnen ließ, daß hier jemand gelebt und gearbeitet hatte, der sich, bei aller ernsthafter Beschäftigung mit der Musik, ein verspieltes Gemüt bewahrt haben mußte und hin und wieder vom Heimweh geplagt worden war. Wäre nicht alles mit einer feinen Staubschicht überzogen, hätte man meinen können, der Generalmusikdirektor könne jeden Augenblick hereinkommen, um mit seiner Arbeit fortzufahren.
Franziska hatte Joachim auf der Fahrt gewarnt: Über den Tod ihres Vaters vor fünfzehn Jahren waren die Zwillinge nie hinweggekommen– vielleicht auch, weil sie es nicht wollten. Sie hatten die Uhren angehalten, und ihr Leben verlief seither in einer Art Endlosschleife. Nach dem Tod der Mutter hatten sie ihr Leben auf den Vater ausgerichtet und managten sein Exil als Töchter-Adjutantinnen, wie er sie nannte, die nicht von seiner Seite weichen durften. Sie waren Assistentin, Sekretärin, Haushälterin, Köchin und seine eifersüchtigen Vertrauten, die auf alle Entscheidungen Einfluß nahmen. So war es naheliegend, daß sie nach seinem Tod zu seinen Witwen geworden waren, die ebenso eifersüchtig über seinen Nachlaß wachten, wie sie an seinem Nachruhm strickten und die Tatsache seiner Abwesenheit ignorierten– als wäre er eben nur mal weggegangen.
» Was ist? Hat denn hier keiner Hunger?« Franziska hatte sich auf der Terrasse an den gedeckten Tisch gesetzt. Das Essen wurde aufgetragen, dann wurden die alten Fotoalben aus dem Studio geholt.
» Niemand hat uns im Leben…«
» …so tief ins Herz getroffen wie Ihr Vater. Dabei war er der liebenswerteste Mensch…«
» …dem wir je begegnet sind. Nicht wahr, Sophie…«
Sophie wühlte in den Fotos, bis sie das richtige gefunden hatte: Es zeigte Joachims Vater, einen lachenden jungen Mann in einem Wintermantel, den Hut keck in die Stirn geschoben, der seine Arme um die beiden Mädchen legte. Der Schnee im Garten war noch nicht geschmolzen, und Anna und Sophie standen wie das Doppelte Lottchen vor ihm, in dunklen Mänteln mit Perlmuttknöpfen und weißen Bleyle-Gamaschen, die Hände tief in einem Muff aus Hasenpelz versenkt.
» Als er zu uns ins Haus kam…«
» …da ging die Sonne auf.«
Hinter dem Trio war das Haus des Generalmusikdirektors in winterliches
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