Augenblick der Ewigkeit - Roman
hab euch schrecklich lieb!‹«
Anna schlang ihren Arm um seinen Hals und gab ihm einen Kuß.
» Ich dich auch!«
Sophie protestierte.«Auch wenn er keine Warzen hat?«
Da stand Karl schon an der Tür und löschte das Licht. » Gute Nacht, ihr Süßen!«
Behutsam schloß er die Tür. Unten im Salon hatte der GMD das Radio angestellt. Die Stimme Goebbels’ war im ganzen Treppenhaus zu hören. Er sprach vor einer unübersehbaren Menge, die sich auf dem Platz vor dem Nordbahnhof-Hotel in Königsberg zur Schlußkundgebung für die Wahl am nächsten Tag versammelt hatte und deren enthemmte Sieg-Heil-Rufe aus dem Lautsprecher wie fernes Meeresrauschen klangen. Der Reichspropagandaleiter hatte den Wahlsonntag des 5. März zum » Tag der erwachenden Nation« proklamiert und alle Rundfunkanstalten angewiesen, das Ereignis zu übertragen.
Gottwalt hatte ein paar Freunde eingeladen. Keine Parteigänger, im Gegenteil. Wie wachsame Hunde sich in den Exkrementen ihrer Feinde wälzen, bevor sie sich unbemerkt an sie heranschleichen, ließen sie sich von Goebbels’ Suada besudeln, um herauszufinden, was sie von den Nazis zu erwarten hatten, nachdem nur eine Woche zuvor der Reichstag in Flammen aufgegangen war.
» Der Brandstifter soll ja nur mit einer Hose und dem kommunistischen Parteibuch bekleidet gewesen sein, hat aber nachweislich bei einem NS-Mann in Untermiete gewohnt.«
Aus dem Salon konnte Karl das bittere Lachen Gottwalts hören. Zögerlich ging er die Treppe hinunter. Seit jenem beunruhigenden Anruf aus Berlin versuchte Karl, ihm aus dem Weg zu gehen. Irgend etwas lag in der Luft, eine Intrige an der Oper, die er nicht durchschaute. Nur soviel war ihm klar: Nach der Machtübernahme würden die Nazis nichts unversucht lassen, dem GMD, der ihnen öffentlich die Stirn geboten hatte, einen Denkzettel zu verpassen.
Auf dem letzten Treppenabsatz blieb er stehen und beobachtete aus der Dunkelheit des Vestibüls die kleine Gesellschaft im Salon. Der GMD, ein kräftiger Mann mit rotem Wuschelhaar, dem er ewig dankbar dafür sein mußte, daß er ihn buchstäblich aus der Gosse aufgelesen hatte, saß zusammengesunken in seinem Sessel vor dem Radioapparat. Für ihn war mit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler eine Welt zusammengebrochen, so sehr schämte er sich für sein Land. Als Karl sah, wie er sein Gesicht in den Händen vergrub, hätte er sich auch am liebsten verkrochen. Wie konnte er ihm das, was er getan hatte, je erklären?
An jenem Tag, an dem Hitler zum mächtigsten Mann im Staat gekürt worden war, hatte Krausnik angerufen und ihn beschworen, noch vor den Neuwahlen zum Reichstag in die Partei einzutreten. Wollte er unter den gegebenen Umständen im Deutschen Reich als Dirigent Karriere machen, würde ein rechtzeitiger Parteieintritt nicht nur von kolossaler Hilfe, sondern eine Grundvoraussetzung sein.
Hin- und hergerissen zwischen seiner Loyalität zu Gottwalt und den von Krausnik in Aussicht gestellten Karriereperspektiven, konnte Karl sich nicht entscheiden. Er hatte sich nie für die Politik interessiert und war, was sein politisches Weltbild anbelangte, eher ein unbewußter Doppelgänger jenes » Unpolitischen«, den Thomas Mann in seiner » Betrachtung« meinte, ein Künstler, der seine kulturstolze Bürgerlichkeit mit ihrer romantischen und realitätsfremden Sehnsucht nach » unpolitischer Politik« gegen den » aufklärerischen Terrorismus der Politik« verteidigte. Die Erlösung durch die Kunst aus den tragischen Verstrickungen des Lebens war Grundlage seiner künstlerischen Identität, jene Schopenhauersche Heilsvorstellung, die der Philosoph vor allem in der Musik verwirklicht sah und die in den Träumen Richard Wagners » vom Ende der Politik und dem Anbruch der Menschlichkeit« ihren höchsten Ausdruck gefunden hatte.
Was ihm jedoch großes Kopfzerbrechen bereitet hatte und der eigentliche Anlaß gewesen war, nach Leipzig zu fahren und sich mit seinem Agenten dort zu treffen, waren finstere Andeutungen einiger Ensemblemitglieder über schwarze Listen, die von den Nazis schon seit Jahren geführt worden seien. Sie prahlten, schon lange der Bewegung anzugehören, und trugen ihre Parteiabzeichen jetzt ganz offen am Revers, obwohl Gottwalt jede parteipolitische Zurschaustellung in der Oper verboten hatte. Der GMD war alles andere als ein Freund der Nazis, so daß sich Karl mit einer gewissen Berechtigung Sorgen machen mußte, er könnte sich mit ihnen anlegen. Nach der bitteren Erfahrung, die er
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