Augenblick der Ewigkeit - Roman
am Brünner Opernhaus machen mußte, hatte er sich geschworen, nie wieder auf der falschen Seite zu stehen.
Also hatte er dem Drängen seines Agenten nachgegeben und einen Tag freigenommen, um an einem Festakt des Kampfbunds für deutsche Kultur teilzunehmen, der mit einem Richard-Wagner-Konzert im Gewandhaus die » Machtübernahme« feierte. Ehrfürchtig betrat er das Leipziger Gewandhaus, in dem die Werke der großen Romantiker Schubert, Schumann, Mendelssohn Bartholdy und Brahms uraufgeführt worden waren und Furtwängler sechs Jahre lang als Chef am Pult des Orchesters gestanden hatte, bevor es von Bruno Walter übernommen wurde. Es war ein hochkarätiges Publikum, wie Krausnik ihm versicherte, die Elite der Bewegung, die sich hier versammelt hatte. Viele waren Mitglieder des Richard-Wagner-Kreises, der mit seiner großzügigen finanziellen Unterstützung des Kampfbunds dazu »beitrug, dem abschreckenden Image der NSDAP als putschistischer Radau- und Krawallpartei entgegenzutreten«, wie Krausnik sich ausdrückte. Er war sichtlich bemüht, Karls Skepsis und Zurückhaltung der Hitler-Partei gegenüber zu zerstreuen, um ihm den Gedanken an einen Parteieintritt so schmackhaft wie möglich zu machen.
» Sehen Sie den untersetzten Herrn? Parteigenosse Mutschmann, Gauleiter von Sachsen, genannt › König Mu‹, Fabrikant von Klöppelspitzen aus Plauen. Hat mit Kunst und Kultur wenig im Sinn. Ist für Folklore und Volkslied zuständig. Aber der dicke Mann neben ihm, mit den smaragdgrünen Kragenspiegeln, SA-Obergruppenführer Manfred von Killinger, das ist zur Zeit der starke Mann in der Regierung. Er ist Reichskommissar für Sachsen, gilt als designierter Ministerpräsident und sucht bereits einen Nachfolger für Gottwalt…«
Karl erschrak.«Ja, ist es denn schon so weit?«
Krausnik schürzte die Lippen und sog die Luft ein. » Tun Sie so naiv, oder sind Sie wirklich so weltfremd? Was meinen Sie, weshalb ich Sie aus Berlin angerufen habe? Der agile Herr zum Beispiel, mit der randlosen Brille, der auf den Reichskommissar einredet, das ist GMD Karl Böhm aus Hamburg. Manche sagen, er habe bereits ein Auge auf die Sächsische Staatskapelle geworfen. Wenn Sie klug sind und die richtige Entscheidung treffen, könnten wir ihm zuvorkommen.«
Karl verachtete die Judenfeindlichkeit der Nazis, und ihre pseudosoziale Utopie von der Volksgemeinschaft ließ ihn kalt. Begriffe wie » Rassismus«‹ oder » nationale Ehre« hatten in seiner Welt der Musik keinen Platz. Er war weder ein Barrikadenkämpfer noch ein Revoluzzer und hoffte auch nicht auf nationale Wiederauferstehung. Seine politische Ausrichtung war konservativ, geprägt von einer tiefsitzenden, kindlichen Angst vor jeglicher Gewalt oder chaotischen Zuständen, wie Straßenkampf und Generalstreik. Ordnung und Selbstdisziplin waren seine Maxime, unabdingbare Voraussetzung, ein so komplexes Gebilde wie ein Orchester zu leiten. Insofern konnte er sich allenfalls mit dem nationalsozialistischen » Führerprinzip«, das die unbedingte Entscheidungskompetenz in Staat und Partei einem einzelnen zuwies, identifizieren. Denn hier wie dort waren unbedingte Autorität nach unten sowie ausschließliche Verantwortlichkeit und Gehorsam nach oben die Grundlage dafür, daß die Musik überhaupt entstehen konnte. Aber deswegen war er noch lange kein Nazi!
Nach der Veranstaltung ging er mit gemischten Gefühlen über den Vorplatz des Konzerthauses. Er schlug den Mantelkragen hoch und stapfte durch den Neuschnee. Als er am Mendelssohn-Denkmal vorbeikam, blieb er stehen und schaute zu der drei Meter hohen Bronzefigur hoch, die mit Taktstock und wallendem Mantel an einem Dirigentenpult lehnte. Der Schnee hatte ihr eine weiße Mütze auf das Haar gesetzt und den Mantelkragen wie mit Hermelin bedeckt. Er hatte den einzigen Schüler Mozarts neben Cherubini stets um seine Eleganz und aristokratische Art beneidet und die Harmonie seiner Musik bewundert, die immerzu auch ein Glücksversprechen in sich barg.
Wie hatte der Festredner getönt? Mendelssohn sei ein Scharlatan und Hochstapler, ein Stümper, ein Fremdling und der Beweis dafür, daß das Judentum in der Musik zu einer erschreckenden Geschichte von Plagiat und geistiger Aneignung fremden Gedankenguts geworden sei, bar jeder eigenen Schöpfungskraft. Die wahre Seele seiner Musik sei, wie schon Richard Wagner sagte, nicht die eines anderen Charakters, sondern die einer anderen Rasse und habe nur das eine Ziel, die
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