Augenblick der Ewigkeit - Roman
völkisch-kulturelle Basis mit dem semitischen Bazillus künstlerischer Impotenz zu verseuchen und damit die Lebenskraft des deutschen Volkes zu schwächen.
Karl wußte nicht, ob er über den Blödsinn dieser » Koryphäe der NS-Musikwissenschaft«, wie Krausnik ihn angekündigt hatte, lachen oder sich empören sollte. Mendelssohn, den Robert Schumann den hellsten Musiker genannt hatte, der die Widersprüche seiner Zeit am klarsten durchschaute und versöhnte, dessen Charakter nicht dem Grenzenlosen, sondern dem Umgrenzten, Einfachen und Klaren entsprach, dieser Mendelssohn ein Scharlatan? Der Chef des Gewandhausorchesters, der es zu einem der angesehensten Klangkörper Europas gemacht hatte, ein Hochstapler? Der Liederkomponist, den Goethe für seinen eleganten, empfindsam lyrischen Tonfall, fern aller Verzweiflungssucht und Leidenschaftssucherei, schätzte, ein Stümper? Und von dem Nietzsche sagte, » er bliebe der schöne Zwischenfall der deutschen Musik«– ein Fremdling?‹ Er machte eine wegwerfende Handbewegung: Richard Wagners niederträchtiger Judenhaß war im Grunde nichts als schäbiger Futterneid und Scheelsucht auf den erfolgreicheren Kollegen.
Als er um das Denkmal herumging, fiel sein Blick auf die neoklassizistische Fassade des Gewandhauses, wo unter dem Dreiecksgiebel in Goldlettern die weithin lesbare Inschrift angebracht war: RES SEVERA VERUM GAUDIUM– Nur was mit Ernst betrieben wird, bringt wahre Freude.
» Mit heiligem Ernst…«
Karl drehte sich erschrocken um. Ohne daß er es bemerkt hatte, war Krausnik ihm gefolgt. » …und glauben Sie mir, mit den neuen Herren da drinnen ist nicht zu spaßen! Und wenn Sie hoffen, dieser Spuk sei in kurzer Zeit wieder verschwunden, dann irren Sie sich. Wir alle haben längst unsere Unschuld verloren. Entweder, Sie blicken den Tatsachen hier ins Auge, oder Sie packen Ihre Koffer und folgen jenen Kollegen, die sich für die Emigration entschieden haben.«
Krausnik war es gelungen, in dem Schneegestöber ein Taxi aufzutreiben, das sie in Schrittgeschwindigkeit vorbei am Standbild Johann Sebastian Bachs zum Markt brachte. Karl schwieg während der Fahrt, und der Agent war klug genug, nicht weiter in ihn zu dringen. Seine Argumente waren überzeugend. Wollte er Karriere machen, mußte er mit den Wölfen heulen und in die Sieg-Heil-Rufe und patriotischen Choralgesänge der Nazis einstimmen. So zu tun sollte ihm eigentlich nicht schwerfallen. Denn im Gegensatz zur ihrer kruden Weltanschauung war er von der emotionalen Ästhetik ihrer Inszenierungen durchaus fasziniert. Dem Tamtam der nächtlichen Massengelöbnisse, dem Reiz der Aufmärsche und Lichtdome konnte er sich nicht entziehen. In Aeckerleins Keller ließ Krausnik die Katze aus dem Sack und konfrontierte ihn mit einem Aufnahmeantrag. » Ich habe schon alles für Sie ausgefüllt. Sie müssen nur noch unterschreiben.«
Der Agent schraubte seinen Füller auf. Als Karl den Antrag durchlas, stutzte er, deutete auf seinen Namen. » Karl Amadeus Herzog?«
» …ist ab sofort Ihr › nom de guerre‹. Als Ihr Agent bestehe ich darauf! Glauben Sie mir, der Amadeus wird für die Karriere hilfreicher sein als der alte Gottlieb, mein lieber Bohumil.«
Der Vorschlag des Agenten gefiel ihm, und er unterschrieb.
» Was drücken Sie sich da im Dunkeln auf der Treppe herum, Karl? Wollen Sie nicht zu den anderen reingehen?« Madame Gottwalt kam mit einem Tablett gefüllter Gläser aus der Küche und stellte es aufs Büfett. » Bedienen Sie sich, meine Herren.«
Als Karl? den Salon betrat, intonierte eine Militärkapelle im Radio den Badenweiler Marsch. Goebbels sprach von Zehntausenden, die auf dem Platz vor dem Bahnhofshotel in Königsberg auf den Führer warteten, der jeden Augenblick mit seinem Flugzeug eintreffen müsse. Seine Stimme überschlug sich, als die von Flakscheinwerfern angestrahlte JU 52 am Nachthimmel über den Menschenmassen kreiste, » …der diesen armseligen Menschen die stolze Überzeugung einbrennt, als kleiner Wurm dennoch Glied eines großen Drachen zu sein, unter dessen glühendem Atem die verhaßte bürgerliche Welt dereinst in Feuer und Flammen aufgehen wird.«
Wütend schlug der GMD mit der Faust auf den Radioapparat, als könnte er den Propagandaredner damit zum Schweigen bringen. » Sollen sie nur kommen! Als Beamter des Deutschen Reichs bin ich entschlossen, mein Opernhaus wie eine Festung gegen die Nazis zu verteidigen…«, er legte seine großen Hände auf Karls Schultern, »
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