Augenblick der Ewigkeit - Roman
Stellung. Man kroch vor dem Hakenkreuz, beobachtete sich gegenseitig und stimmte sogleich das Horst-Wessel-Lied an, kaum daß ein Parteisoldat mit gehobenem Arm den Raum betreten hatte. Wie denn sonst, wenn nicht als einer ihrer Spießgesellen, könnte er Franziska wirksam vor Übergriffen schützen?
Er hörte, wie der Opel auf den Vorplatz fuhr, der Motor abgestellt wurde und die Fahrertür ins Schloß fiel. Er beeilte sich, die Haustür zu öffnen, bevor der Besucher den Klingelknopf drücken konnte.
» Es ist soweit, Herzog.« Krausnik zog den Hut und wollte an ihm vorbei. Aber Karl verstellte ihm den Weg.
» Wollen Sie mich denn nicht reinlassen?«
Karl zog die Tür zum Schlafzimmer zu. » Es tut mir leid, aber ich habe Besuch. Meine Schwester schläft. Sie ist mit dem Zug aus Berlin gekommen und wollte sich vor der Vorstellung noch ein wenig ausruhen.«
» Gut. Dann fasse ich mich kurz. Ich habe Anweisung, Sie nach der Premiere dem Ministerpräsidenten von Killinger vorzustellen. Sie wissen, was Sie zu tun haben.«
» Was haben die mit Gottwalt vor?«
» Ich kann Ihnen nichts Genaueres sagen, als daß Sie sich bereithalten sollen. Nur so viel ist sicher, es wird kein Kindergeburtstag werden. Die zählen auf Sie!«
Während der Fahrt zum Opernhaus sprach Karl kein einziges Wort mit ihr. Irgend etwas schien ihn zu bedrücken, doch Franziska wagte nicht, ihn danach zu fragen. Sie fuhren mit der Straßenbahn über die Augustusbrücke und stiegen an der Haltestelle Theaterplatz aus. Es dunkelte bereits, und vor dem Opernhaus wurden die Gaslaternen angezündet. Franziska war jedesmal aufs neue überwältig von diesem gewaltigen » Kraftwerk der Gefühle«, wie sie die Sächsische Staatsoper ironisch nannte.
Als sie über den Theaterplatz zum Bühneneingang gingen, kletterten ein paar Männer aus einer Dachluke auf den Mittelbau des Opernhauses. Zugleich rollte an der Nordseite des Karrees ein Militärkonvoi über die Große Packhofstraße und hielt vor dem » Italien-Dörfchen«. Kommandos hallten über den Platz wie auf einem Kasernenhof. SA-Männer in Paradeuniformen sprangen von ihren Pritschen. Die Absätze ihrer Schaftstiefel knallten auf das Kopfsteinpflaster. Scheinwerfer wurden auf das Dach des Opernhauses ausgerichtet. Dann trat Ruhe ein. Alle blickten auf den Fahnenmast, an dem die weiß-grüne Fahne des Sächsischen Freistaats eingeholt wurde. Als kurz darauf die Hakenkreuzfahne hochgezogen wurde, erfolgte ein gewaltiger Aufschrei. Siegestrunken grölten die Sturmabteilungsmänner: » Die Fahne hoch! Die Reihen fest geschlossen…« Als das schwarz-weiß-rote Tuch sich im Wind verfing und das Hakenkreuz zum Vorschein kam, schnellten ihre Arme hoch zum Deutschen Gruß. Einige Passanten und Premierengäste klatschten, andere drehten sich weg.
Franziska klammerte sich noch fester an Karls Arm.«Laß uns wieder gehen. Diese SA-Horden machen mir angst.«
» Wir können Gottwalt jetzt nicht im Stich lassen.«
Am Bühneneingang kam der Pförtner aus seinem Glaskasten gestürzt, um den Männern auf dem Dach mit der Polizei zu drohen, sollte nicht augenblicklich die Hakenkreuzfahne wieder eingeholt werden. Doch die Polizisten, die die Auf- und Abfahrt der Premierengäste vor dem festlich erleuchteten Portal regelten, drehten ihm den Rücken zu, als ginge sie das alles nichts mehr an.
An diesem Abend stand die Premiere des Freischütz ‹auf dem Programm, und die Generalintendanz im Taschenberg-Palais hatte Gottwalt ausdrücklich darum gebeten, die Vorstellung höchstpersönlich zu leiten, obwohl seit der gewonnenen Wahl am Sonntag die Nazipresse noch vehementer als zuvor gegen den GMD der Sächsischen Staatsoper hetzte.
Sie suchten Gottwalt vor der Vorstellung in seinem Dirigentenzimmer auf. Von Brünn her wußte Franziska noch, wie es vor der Premiere hinter den Kulissen einer Oper zugehen konnte. Aber zu ihrem Erstaunen herrschte in den Gängen des Opernhauses eher Tagesroutine. Oder war es nur die Ruhe vor dem Sturm?
Seelenruhig saß er hinter seinem Schreibtisch und blätterte in der Partitur. Er bat Franziska, die Fenster zu schließen. Das Gegröle auf den Theaterplatz war nur noch gedämpft zu hören. Zwischen dem Weber-Denkmal und der Gemäldegalerie hatte sich ein Fackelzug formiert.
» Die marschieren direkt auf uns zu.« Sie zog die Vorhänge vor und rieb sich die nackten Arme unter ihrer Stola. » Haben Sie denn keine Angst vor diesem braunen Gesindel, Herr Professor?«
Der GMD schob
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