Augenblick der Ewigkeit - Roman
UFA-Filmen verschaffen sollte und ihr den Sprung an die Wiener Staatsoper ermöglichte.
Von einem Revuegirl lernte sie, wie man Kopf und Hände halten mußte, als wären sie an Fäden befestigt, die von einem Marionettenspieler gezogen wurden, nur um ihren Körper beim Auftritt wie schwerelos wirken zu lassen. Wenn sie aber erst einmal ins Rampenlicht getreten war und alle Augen sich auf sie richteten, war ihre Nervosität im Nu verflogen. Dann genoß sie die gespannte Aufmerksamkeit, die das Publikum ihr entgegenbrachte, und eine ekstatische Ruhe überkam sie.
Mit großem Ehrgeiz arbeitete sie an ihrer Karriere, auch im Bewußtsein, den Anfang einer neuen Epoche mitzuerleben, deren Teil sie selber war. Sie trat dem Nationalsozialistischen Studentenbund bei, sammelte für die Winterhilfe und hielt den Führer für einen großen Staatsmann. Der Aufbruch der völkischen Jugend und das atemberaubenden Schauspiel der nationalen Begeisterung, dem sie beiwohnen und an dem sie aktiv teilnehmen durfte, machte sie stolz auf ihr Land. Sie lernte, in » weltgeschichtlichen Zusammenhängen« zu denken, und war bereit, manche Auswüchse und Entgleisungen hinzunehmen, die jenen zugefügt wurden, die mit dem neuen Regime nicht einverstanden waren und gehen mußten. Das sind doch alles Juden, dachte sie, wozu sollen alle diese Juden denn so wichtig sein?
Als sie zum Studium nach Berlin aufbrach, verlangten ihre Eltern, daß sie zu ihrem Bruder Wolfgang in die Liebigstraße zog, der ihre Ausbildung überwachen und ihre Karriere leiten sollte. Unter seiner Obhut fühlte sie sich keineswegs bevormundet, sondern im Gegenteil unverletzbar und geborgen. Er war einer jener jungen Konzertpianisten, die aus dem Schatten der großen Alten wie Artur Schnabel oder Wilhelm Backhaus heraustraten, und der als jüngster unter Hunderten von Aspiranten in Wien den internationalen Klavierwettbewerb gewonnen hatte, » mit der Dante-Sonate von Liszt«, wie das Wiener Journal anmerkte, bei der er » alle Himmel und Höllen virtuoser Pianistik stürmte, mit künstlicher Ekstase seine Kantilenen sang und durch seine blendende Technik die Jury in Erstaunen setzte.«
Sie vergötterte ihren Bruder und hörte auf seinen Rat– es sei denn, es handelte sich um Männer. Er war ein paar Jahre älter als sie, Mitte zwanzig, ein schöner Mann, mit welligem blondem Haar, groß und sehr männlich, der Schwarm aller jeunes filles en fleur aus ihrer Singgemeinschaft, die, nur um in seiner Nähe sein zu dürfen, um ihre Freundschaft buhlten, wohingegen sie es eher auf seine Freunde abgesehen hatte.
Berlin – November 1936
Als sie erfuhr, daß er mit dem 1. Klavierkonzert op. 15 in d-Moll von Brahms sein Debüt in der Philharmonie gab, bestand sie darauf, ihn in die Hauptprobe begleiten zu dürfen. So neugierig war sie auf den jungen Kapellmeister aus der Provinz, der ihn mit den Berliner Philharmonikern begleiten sollte und über den die Berliner Feuilletons schon im vorhinein wie über ein Wunder berichtet hatten. Doch ihr Bruder weigerte sich, sie mitzunehmen, weil Karl Amadeus Herzog darauf bestanden hatte, in der Probe kein Publikum zu dulden.
Trotz des Verbots schlich sie sich heimlich in die Philharmonie und versteckte sich im oberen Rang der Orchesterloge, von wo aus sie im Schutz der Dunkelheit klammheimlich den jungen Dirigenten beobachten konnte. Schon als kleines Mädchen liebte sie es, sich zu verstecken und wie eine Spinne im Verborgenen zu lauern. Andere insgeheim zu beobachten gab ihr ein prickelndes Gefühl der Überlegenheit, konnte sie sich doch dabei gefahrlos ihren Phantasien hingeben.
Was sie in dieser Hauptprobe erlebte, sollte ihr ganzes Leben verändern. Schon beim ersten Auftritt des jungen Kapellmeisters aus Dresden geriet sie in Euphorie, so frei und ungezwungen trat er vor das Orchester hin, ein junger Halbgott, der kaum älter war als ihr Bruder, ihm wesensverwandt und ebenbürtig.
Die Berliner Kritiker hatten nicht übertrieben, als sie von ihm als einem Künstler sprachen, » von dem sich die Älteren eine Scheibe abschneiden könnten«, denn seine ganze Art zu dirigieren unterschied sich grundlegend von Toscaninis rigiden Taktschlägen oder Furtwänglers exzessiver, aus dem musikalischen Moment heraus entstehender Gebärdensprache. Allein die kongeniale Gestik, mit der er die überschwengliche Glückseligkeit in dem wilden und aufrührerischen Maestoso des ersten Satzes beschwor, verwirrte sie so sehr, daß sie für einen
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