Augenblick der Ewigkeit - Roman
Spiel gemacht.«
» Und ich? Liebst du mich denn nicht mehr?«
» Ich liebe dich, mein Fränzchen. Mehr als je zuvor. Aber ich liebe auch die Musik. Sie ist neben dir das einzige, was ich habe. Vertrau mir doch, Franziska, wenn du mich liebst! Wenn ich Gottwalt jetzt nicht helfe und ihn da raushole, dann holt ihn der Mob da draußen.«
In der Tür zum Orchestergraben trat Krausnik ungeduldig auf der Stelle. » Wo bleiben Sie denn, Herzog?«
» Ich komme!«
Gewaltsam machte er sich von Franziska los. » Leb wohl, mein Fränzchen, wenn du mich doch bloß verstehen könntest!«
Krausnik gab ihm noch einen kleinen Klaps auf die Schulter, und Karl betrat den Orchestergraben. Franziska brach in Tränen aus. Krausnik reichte ihr sein Taschentuch. » Hier, nehmen Sie, Mylady. Auch Ihre Tränen können seine Karriere jetzt nicht mehr aufhalten!«
Draußen im Orchestergraben wurde Herzog von den Parteigängern des Ministerpräsidenten mit stürmischem Beifall empfangen. Gottwalt hatte verstanden: » Der deutsche Donner hat sein Ziel erreicht!«Tränen standen ihm in den Augen. Er legte seinen Dirigentenstab aufs Pult und verließ schweigend, ohne sich noch einmal umzudrehen, den Graben. Mit einer tiefen Verbeugung schloß der Orchesterdiener hinter ihm die Tür. Beflissen hatte der Konzertmeister inzwischen das Notenblatt vom Boden aufgehoben, und mitten in den anhaltenden Beifall hinein gab Herzog den Einsatz zum Horst-Wessel-Lied.
ZWEITER TEIL
Gudrun
Monte Carlo– Freitagmorgen
Tageslicht drang durch die Schlitze der Balkonvorhänge, die eine Meeresbrise ins Zimmer bauschte, als sie aus dem Gewirr ihrer Träume auftauchte und die Augen öffnete. Aus dem Zimmer über ihr drangen rhythmische Geräusche, vermischt mit den Lauten menschlicher Lust. Der Minutenanzeiger ihres digitalen Weckers fiel von 7.02 auf 7.03 Uhr. Der neue Tag, in dem sie sich zu orientieren suchte, überstrahlte die schrecklichen Geschehnisse, von denen sie geträumt hatte, den aufheulenden Boxermotor und das Splittern der Windschutzscheibe auf dem Quai Suffren vor dem Hotel Sube.
Gudrun faltete die Hände und betete in ihrer kindlichen Art, die sie zeit ihres Lebens beibehalten hatte. » Lieber Gott, vergib mir meine Fehler und meine Selbstsucht. Ich habe mich immer bemüht, nach deinem Willen zu handeln. Vergib mir, was ich wegen Joachim getan habe, und mach, daß er wieder zurückkommt, damit alles gut wird. Mach, daß wir alle gute Menschen werden und ich nie aufhören werde, dich zu lieben. Und schütze Johanna und Karl…« Sie zögerte. Doch dann nickte sie zur Bestätigung. » …ja, das gilt auch für Maria. Amen.«
Sie glaubte fest an ihren Gott und hatte Mühe zu verstehen, wie Menschen an seiner Existenz überhaupt zweifeln konnten. Manches Mal war er so offenkundig nahe bei ihr, daß sie seine kosmische Aufmerksamkeit wie einen physischen Druck auf ihrer Haut spürte. Früher, als sie noch klein war und er jede ihrer Bewegungen überwachte, ihrem allmorgendlichen Flüstern lauschte, jeden ihrer sehnsüchtigen Wünsche notierte und sie durch seine Engel beschützen ließ, war diese Verbindung zu ihm ihr tiefstes Geheimnis gewesen. Sie fühlte sich von ihm auserwählt und geleitet und hatte nicht den geringsten Zweifel daran, daß jedes einzelne Haar auf ihrem Kopf von ihm gezählt war.
Auch jetzt noch spürte sie an manchen Tagen seine fühlbare Gegenwart, wenn auch nicht mehr ganz so vital wie früher, als sie noch fürchtete, der liebe Gott würde sich furchtbar aufregen, wenn sie ungehorsam war und ihre Pflichten nicht erfüllte. Dann fixierte sie einen imaginären Punkt an der Decke, bis ihr Blick an Schärfe verlor und der Brennpunkt verschwamm. In einer Art von Selbsthypnose wisperte sie beschwörende Stoßgebete, bis sie, wie von einem Kitzel überschwemmt, seine Blicke auf ihrer Haut spüren konnte, und während er in ihr geheimstes Innerstes blickte, genoß sie das Gefühl, sich ihm völlig preiszugeben. In solchen Augenblicken fühlte sie sich von ihm so sehr um ihrer selbst willen geliebt, daß sie am liebsten geschrien oder laut gelacht hätte.
Das erotische Ja-ja-ja-Oratorium im Zimmer über ihr wurde stärker, so daß sie schließlich aufstand, um die Balkontür zuzumachen. Sie setzte sich auf die Bettkante und betrachtete ihr Gesicht im Spiegel der Frisierkommode. Unzählige Male hatte sie es erforscht und war wie stets erschrocken und fasziniert davon. Sie war sich nicht sicher, ob es überhaupt » schön« war,
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