Augenblick der Ewigkeit - Roman
streckte ihm die Hand entgegen. Karl nahm und drückte sie. Sie war weich und warm. » Dann werden Sie es noch weit bringen.«
Mit einer kleinen Verbeugung strebte der Dirigent an seinen Tisch zurück. Er ging gebeugt, als hätte der hochgewachsene Mann ein wenig an Statur verloren. Der Kampf mit Goebbels war eben doch nicht spurlos an ihm vorübergegangen.
Gudrun stampfte ungeduldig auf. Warum ging der dumme Kerl nicht endlich weiter? Sogleich ärgerte sie sich über ihre Ungeduld, und sie dachte daran, mit welcher Ausdauer Spinnen oft in ihren Netzen lauern, wenn sie auf Beute aus sind. Sie hatte sich ihr Versteck auf der Galerie mit Bedacht gewählt. Hier oben konnte sie sicher sein, nicht überrascht zu werden, solange das Bankett andauerte. Sie schaute hinunter auf die Tische. Die Herren waren noch nicht einmal beim Dessert. Sie hatte also noch genügend Zeit, ihn durch ihr Opernglas zu beobachten.
Sie sah, wie er aufsprang und den großen Furtwängler begrüßte. Was redeten die miteinander? Sie versuchte es mit Lippenlesen, konnte jedoch kein Wort entziffern. Seine Zähne blitzten, wenn er lächelte, und sie gewahrte in seinen Augen jenen halbverrückten kreativen Blick, den Künstler haben oder Heilige. Sie starrte lange auf seine Lippen, bis ihr Blick an Schärfe verlor, die Luft um sie herum anfing zu flirren und sie in den Wachtraum eines jungen Mädchens fiel.
Sie würde sich ihm hingeben, noch in dieser Nacht, ohne jeden Vorbehalt. Eine solche Gelegenheit ungenutzt verstreichen zu lassen, hieße, ihr eigenes Schicksal zu betrügen. Was er von ihrer Passion hielt, war ihr egal. Sie wußte nur, daß sie sich hoffnungslos in ihn verliebt hatte, und mit dieser Gewißheit wurden für sie alle äußeren Konventionen bedeutungslos. Wenn sie nur einmal ihm gehörte, würden sie beide auf immer und ewig glücklich sein.
Als sie schließlich vor ihm stand, um ihm vorgestellt zu werden, wurde sie von einem Frösteln gepackt, daß sie fürchtete, er könnte diesen seltsamen unwiderstehlichen Schauer, der über ihren Körper lief, bemerken. Ihr selbst schien er so wahrnehmbar, daß sie ihrem Bruder dankbar war, als er seinen Arm um ihre nackten Schultern legte. » Darf ich Ihnen meine kleine Schwester vorstellen?«
Dabei gingen seine Augen flink zwischen Karl und Gudrun hin und her. Karl nahm ihre Hand. » Ich hatte schon lange den Wunsch, Sie kennenzulernen, Fräulein Thennbergen, vom Augenblick an, als ich Sie bei der Probe sah.«
Als er sich über ihre Hand beugte, um sie zu küssen, wurde Gudrun wieder von dem eitlen Wunsch erfüllt, ihm zu gefallen. » Die Feuilletons haben ja so recht, wenn sie von einem Wunder sprechen, Maestro. Am liebsten wäre ich aufs Podium gesprungen und hätte mitgesungen.«
» Warum haben Sie es nicht getan? Ich hörte, Sie sollen eine außerordentlich schöne Stimme haben.«
Sie strahlte ihn an, öffnete ihren lachenden Mund, und heraus perlte die herrlichste Koloraturkantilene, so daß die Leute um sie herum die Hälse reckten.
Es machte ihr Freude zu sehen, wie entzückt er von ihr war. Im Unterschied zu vorher, als sie ihn aus der Distanz durch ihr Opernglas beobachtet hatte, hatten sich, wie er so vor ihr stand, nunmehr die Bedingungen geändert. Jetzt spielte sie die Befangene, während er ihr Komplimente machte. Als er schließlich ihren Arm nahm, um sie zu einem freien Sitzplatz an der Bankettafel zu führen, hörte sie nicht auf, sich immer wieder zu bestätigen, das wird mein Mann, der nur mir allein gehört. Er wird mich lieben, so wie ich ihn jetzt schon liebe. Für eine flüchtige Sekunde entdeckte sie ihn und sich in einem Spiegel, und die leuchtenden Augen und glühenden Wangen, die sie darin sah, erzeugten in ihr ein erregendes Vorgefühl. Auf der ganzen Welt gab es kein glücklicheres Mädchen als sie.
Monte Carlo – Freitagmorgen
Das Telefon riß Gudrun aus ihrem Halbschlaf, in den sie nach dem Erwachen noch einmal gefallen war. Sie schaute auf den Wecker, bevor sie abnahm. Es waren nur wenige Minuten verstrichen, in denen sie in die dreißiger Jahren hinabgetaucht war. Wenigstens war das Paar im Zimmer über ihr vorangekommen, sein Stöhnen hatte seinen Höhepunkt erreicht und vermischte sich mit dem lang anhaltenden Tuten eines Nebelhorns im Hafen.
» Hallo?« Johanna rief vom Frühstückszimmer aus an. » Bist du schon wach, Mama?«
» Gib mir ein Viertelstündchen Zeit, Kind.« Sie stellte sich unter die Dusche und säuberte sich sorgfältig mit
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