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Augenblick der Ewigkeit - Roman

Titel: Augenblick der Ewigkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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Staatsgast kam sie auf dem roten Teppich durchs Hauptportal hereinspaziert, nachdem man sie zur Hintertür hinausgeworfen hatte, setzte sich in die offizielle Staatskarosse und ließ sich mit Hakenkreuzstander und Ehreneskorte ins Grandhotel Esplanade fahren– eine Provokation, die die ganze Rassenpolitik der Nazis zum Gespött zu machen drohte.
    » Well, was wollen Sie? Klasse geht vor Rasse, in London ebenso wie bei Ihnen in Berlin…« Mr. Lassally machte eine kleine Pause, um die Wirkung seiner Bosheit zu genießen. » … › Deutsche Opernhäuser befreit von der jüdischen Plage‹, oder etwa nicht, Herr Krausnik?
    Damit brach er in ein schallendes Lachen aus, in das der Impresario mit einiger Verzögerung einfiel.
    » Ach so?– Ja, sehr gut! Klasse geht vor Rasse. So herum habe ich das noch nie gesehen. Muß ich mir unbedingt merken, Sir.«
    » By the way, meine Herren. Was hält man in Ihren Kreisen eigentlich davon, daß das Mendelssohn-Denkmal abgerissen wurde. Will man Sir Thomas brüskieren, der bei seinem Konzert in Leipzig dort einen Kranz niederlegen wollte?«
    Krausnik schnappte nach Luft und blickte betreten zu Boden. In der Tat, in einem barbarischen Gewaltakt hatten Nazis ein paar Tage zuvor das Denkmal in einer Nacht-und-Nebel-Aktion abgerissen, den Schutt beseitigt, die entstandene Grube aufgefüllt und die Stelle vor dem Gewandhaus neu gepflastert, so daß die Leipziger Bürger am nächsten Morgen den Eindruck haben mußten, das tonnenschwere Ding habe in der Nacht Flügel bekommen und sei einfach davongeflogen.
    » Wenn man Mahler, Offenbach oder Mendelssohn in den Konzertsälen verbietet, so daß man sie leider nur noch in privaten Salons zu hören bekommt, dann muß man sich nicht wundern…« Krausnik unterbrach Herzog rasch, um ihn vor einer Dummheit zu bewahren, die er ungern am nächsten Tag in der Londoner Times lesen würde. » …was Mr. Herzog damit sagen will, Mr. Lassally– vielleicht wollte man Ihren Chef nur daran hindern, in Leipzig eine weitere Stupidity zu begehen.«
    Am Eingangsportal des Saals kam Unruhe auf. Erst wurde geklatscht, dann wurde ein Lied angestimmt.
    » For, she is a jolly good fellow, for she is a jolly good fellow…«
    Das Fräulein Geissmar, das für die Berliner Philharmoniker über Jahre hin alle Konzerte und Tourneen gemanagt hatte, wurde von dem alten Orchesterdiener Jastrau in den Arm genommen und in die Luft gestemmt, damit alle sie sehen konnten. Das Fräulein brachte vor Rührung kein Wort heraus und fing an zu weinen, bis der Riese sie wieder auf die Füße stellte und sich zu ihr hinunterbeugte. » Aber, Fräuleinchen, Sie dürfen doch jetzt nicht weinen.«
    Eine tapfere Frau. Karl hätte sich gewünscht, Franziska hätte nur halb soviel Chuzpe gehabt wie sie. Doch Franziska hatte sich geweigert, einen Mann wie Krausnik als ihren Nazibeschützer zu akzeptieren. Als dieser sie daraufhin bat, dann möge sie in Zukunft ihre Beziehungen zu Karl abbrechen, weil das seiner Karriere schaden könnte, hatte sie das Land verlassen und war zu ihrer Mutter nach Wien zurückgegangen, ohne daß er sie davon abbringen konnte. Er hatte ihr geschrieben, sogar postlagernd an die Adresse von Fräulein Olga Silberschein. Doch alle seine Briefe kamen ungeöffnet zurück.
    Er hatte es ihnen leichtgemacht, Franziska zu vertreiben. Die Nazis waren ja nicht dumm. Sie tasteten sich vorsichtig heran, um herauszufinden, wie weit sie gehen konnten, ehe sie auf ernstzunehmenden Widerstand stießen. Dann aber legten sie ihre Köder aus. Und wie beim Teufelspakt im Märchen hatte er für eine Blitzkarriere das Liebste hergegeben, das er besessen hatte. Seine gesellschaftliche Reputation war gewachsen, seine Stellung wurde langsam unangreifbar, und es ging mit ihm steil nach oben, so reibungslos, daß er glaubte, im Nazireich schon bald eine noch größere Machtposition beanspruchen zu können. Immer nachdrücklicher verlangte er, mit den Philharmonikern auch auf Auslandtournee geschickt zu werden, bis sogar Krausnik ihn warnte, bescheidener aufzutreten und sich nicht selbst zu überschätzen.
    Binnen kurzem war er einer der ihren geworden, der das System sah, wie es gesehen werden wollte, und nicht, wie es in Wirklichkeit war. In einem schleichenden Ihnen-immer-ähnlicher-Werden weigerte er sich, dem Faschismus in die Fratze zu blicken, hielt dessen Abnormität für die Norm, für das Normale, für das Normative, für das Raster aller Ordnung. Er paßte sich an, achtete ihre

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