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Augenblick der Ewigkeit - Roman

Titel: Augenblick der Ewigkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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Gebote und respektierte die Symbole ihrer Macht. Er verkaufte seine Seele und begradigte in ihrem Sinne jede schiefe Ebene, um darauf nicht auszurutschen. Seine Anpassung an das System war so perfekt, daß er erst durch seine Unauffälligkeit die Beachtung fand, die es ihm ermöglichte, in der Öffentlichkeit des Dritten Reichs eine blendende Figur zu machen.
    Die Ausgelassenheit der Gäste machte ihn plötzlich reizbar und nervös. Der Gedanke an Franziska lag wie eine dunkle Last auf seiner Seele und drohte ihm den ganzen Abend zu verderben. Er mußte sich setzen und versuchte die Gedanken an seine konformistische Mimikry zu verdrängen. Es durfte keine Schuldgefühle geben, keine Gewissensbisse, kein Reuefieber und keinen Riß im Herzen– nur Neugier auf das, was ihm die Welt zu bieten hatte. Ein Schatten fiel auf ihn. Karl schaute auf.
    » Wie geht es, Herr Kollege?« Doktor Wilhelm sprach ihn wie einen vertrauten Mitarbeiter an. Seine freundlichen Worte kamen so überraschend, daß Karl von seinem Stuhl aufsprang und eine artige Verbeugung machte. » Danke gut, Herr Doktor!«
    Es war ihr erstes Wiedersehen seit jenem unglücklichen Probedirigat. Karl ließ zwar keines seiner Konzerte aus, wenn er in Berlin zu tun hatte, war aber zu seinem Abgott und Rivalen auf Distanz gegangen.
    » Man hört ja so allerlei von Ihrer steilen Karriere. Habe ich es Ihnen nicht vor ein paar Jahren prophezeit? In Zeiten wie diesen werden Sie Ihren Weg schon machen.«
    Karl mißtraute, daß er es aufrichtig mit ihm meinte. Er wußte, wie eifersüchtig Doktor Wilhelm auf jüngere Rivalen sein konnte. Doch der Doktor legte ihm wie einem alten Freund die Hand auf die Schulter. » Ich muß Ihnen übrigens zu Ihrem Brahmsschen Klavierkonzert mit dem jungen Thennbergen gratulieren. Eine famose Leistung von Ihnen beiden!«
    Touché! Alle seine Ressentiments waren mit einem Schlag verflogen. Er stammelte nur: » Sie– Sie waren in meinem Konzert?«, und biß sich auf die Lippen. Wie konnte er nur so töricht sein, sich eine solche Blöße zu geben?
    » Wie sonst hätte ich Sie hören können? Ich bin zwar nicht mehr der alleinige Hausherr an der Philharmonie, aber es interessiert mich hin und wieder schon, wer außer mir noch das Orchester dirigiert!«
    Wilhelm Furtwängler war einer der wenigen Prominenten im Land, die Goebbels mehr als einmal die Stirn geboten hatten, und Karl wußte nicht, ob er sich darüber freuen sollte oder nicht. Sie waren Rivalen, wobei das Alter und die Zeit auf seiner Seite waren. Im schlimmsten Fall würde sich der Doktor mit den Nazis überwerfen, und der Weg nach oben an die Spitze, den Krausnik ihm geebnet hatte, läge völlig frei vor ihm. Auf der anderen Seite bewunderte er ihn für seine Zivilcourage und den persönlichen Mut, mit dem er sich zuletzt für Hindemith eingesetzt hatte.
    An jenem Morgen, als Furtwängler sein Plädoyer für den Komponisten des Mattis der Maler in der Sonntagsausgabe der Deutschen Allgemeinen Zeitung veröffentlich hatte, waren die Straßen vor der Philharmonie voller Menschen, die den Verkäufern ihre Zeitungen geradezu aus dem Händen rissen. Als Furtwängler das Podium betrat, feierte ihn das Matineepublikum mit Hochrufen und Beifallsbekundungen, die einer Demonstration gleichkamen, und als er am selben Abend in der Staatsoper den Tristan in Anwesenheit von Goebbels und Göring leitete, brauste noch einmal ein nicht enden wollender Beifall auf, der die Autorität der Reichsführung in Frage stellte.
    Goebbels tobte. Furtwängler mußte seinen Rücktritt erklären, mit der Folge, daß das Büro der Philharmonie am Tag darauf Konzertabonnements in Höhe von über hundertachtzigtausend Reichsmark stornieren mußte– nur weil das Konzertpublikum seinem Liebling die Treue hielt.
    Es war der Anfang eines unterschwelligen Publikumsprotests, der sich über die ganze Konzertsaison gegen Goebbels’ Kulturpolitik fortsetzte. Der Ruf nach Furtwänglers Rückkehr an das Pult der Berliner Philharmoniker wurde immer lauter, bis Goebbels schließlich nachgab und Furtwängler mit der Erklärung, er habe nie beabsichtigt, den Fall Hindemith zu einer kulturpolitischen Machtfrage zu machen, ans Dirigentenpult der Berliner Philharmoniker zurückkehrte, wenn auch nur noch als » unpolitischer Gastdirigent«. Den Nazis war es nicht gelungen, ihn kleinzukriegen. Nur die Emigranten behaupteten jetzt, er sei zu Kreuze gekrochen.
    » Machen Sie nur weiter so, mein junger Freund!« Der Doktor

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