Augenblick der Ewigkeit - Roman
Schwamm und Seife. Im Spiegel stellte sie mit Befriedigung fest, daß ihre weiße Haut, die sie kaum je der Sonne ausgesetzt hatte, immer noch glatt und geschmeidig war. Die bissige Bemerkung ihrer Tochter gestern Morgen, sie sei nicht mehr die Jüngste, hatte sie doch mehr gekränkt, als sie sich eingestehen wollte. Rasch trocknete sie sich ab, bis ihre Glieder warm und rot durchblutet waren. Dann kämmte sie ihr Haar, und während sie sorgfältig alle ausgegangenen Härchen aus der Haarbürste entfernte, dachte sie an jene erste stürmische Liebesnacht, als sie im Bad seines Hotelzimmers ein einzelnes davon in die Flamme einer Kerze gehalten hatte. Als kleines Mädchen hatte ihr ihre Kinderfrau erzählt, wenn beim Verbrennen eines Haars ein kleines Geräusch zu hören sei, würde das Mädchen binnen Jahresfrist seine Unschuld verlieren. Sie lachte, als sie es knistern hörte. Die ihre hatte sie noch nicht verloren– aber in jenem Augenblick, als er sie mit leidenschaftlicher Liebesgewalt aufs Bett gezogen hatte und in ihr zum ersten Mal die stärksten Empfindungen erweckte, da wußte sie, niemand außer ihm hätte je ihren jungfräulichen Traumzustand im Wesen berühren können.
London, Nizza – Freitagmorgen
Die starke Westströmung vom Atlantik hatte den Jetliner fest im Griff und schüttelte ihn wie ein unartiges Kind. Seit sie den Ärmelkanal überquerten, ging ein beunruhigendes Zittern und Beben durch die Passagierkabine. Mit der Schulter an der Bordwand konnte Steinberg geradezu spüren, wie der Rumpf sich dehnte und zusammenzog. Er hatte Angst, die Maschine könne auseinanderbrechen, und malte sich aus, wie es ist, beim Absturz an seinen Sitz geschnallt ins Nichts katapultiert zu werden und beim Hinunterstürzen auf die Erde aus dreißigtausend Fuß minutenlang darauf warten zu müssen, aufzuschlagen und in einer Feuersäule zu verpuffen.
» Enjoy your drink, Mr. Steinberg…«
» …thank you, my dear.«
Die Anschnallzeichen gingen aus. Aufatmend lehnte er sich zurück, schloß die Augen und genoß die beruhigende Wirkung des Whiskys, den die Stewardeß ihm gebracht hatte. Es war bereits sein vierter, und sollten die Turbulenzen über dem Festland anhalten, würde er bis zur Landung in Nizza sicherlich noch ein halbes Dutzend brauchen. Er zog den Sicherheitsgurt enger, lockerte die Krawatte und den Kragen, streifte seine Schuhe von den Füßen und streckte die Beine weit von sich. Es gab genügend Platz. Schließlich war er der einzige Passagier in der Luxusklasse.
Er selbst hätte sich den Flug in der ersten Klasse nie leisten können, aber Maria hatte ihm das Ticket geschickt. Trotzdem kostete es ihn jedes Mal Überwindung, ein Flugzeug zu besteigen. Wann immer es sich bei seinen unzähligen Tourneen durch die Musiksäle der Welt vermeiden ließ, benutzte er lieber das Schiff oder die Eisenbahn.
Seit jener nächtlichen Flucht vor den Nazis haßte er es zu fliegen. Damals wären sie fast abgestürzt, hätte Herzog nicht im letzten Moment mit einem tollkühnen Landungsmanöver eine Bruchlandung verhindert. Bis heute konnte er kein Flugzeug besteigen, ohne daran zu denken, obwohl er sich jedesmal beim Boarding einredete, daß im Gegensatz zu dem klapprigen Doppeldecker aus Holz und Leinwand die großen Düsenjets als sicherstes Verkehrsmittel galten. Als er einen vorsichtigen Blick aus dem Bordfenster warf, konnte er unter sich die Küste Frankreichs liegen sehen, gegen die die Dünung in weißen langgestreckten Wellenlinien rollte. Von oben sah die Küstenlandschaft flach und friedlich aus. Er aber wußte es besser, da unten erwartete den Airbus ein flammendes Inferno. Er griff nach seinem Whiskyglas. Die Eiswürfel rutschten ihm gegen die Lippen und blieben an der Zunge kleben.
» Another drink, Sir?«
Der Service in der ersten Klasse der British Airways war exzellent. Er reichte der wachsamen Stewardeß sein leeres Glas und nickte. » Please, if you be so kind, my dear!«
Er lehnte sich zurück und machte Atemübungen. Das beste Mittel gegen Nausea. Der Bordgong ertönte, und die Anschnallzeichen leuchteten wieder auf.
» Flight attendants, please sit down!«
Die Turbulenzen waren noch keineswegs überstanden. Er zog den Kopf ein. Einen Augenblick herrschte trügerische Ruhe, dann krachte es, und wie in einer Achterbahn ging es im freien Fall nach unten, so daß ihm der saure Whisky aus dem Magen in die Nase schoß. Er zählte die Sekunden in gottergebener Erwartung des Donnerschlags, der
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