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Augenblick der Ewigkeit - Roman

Titel: Augenblick der Ewigkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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Mutter und dann den Hofrat an, der ihren Kummer verursacht hatte.
    » Ich danke Ihnen, Herr Hofrat, aber ich will bei meiner Mutter bleiben.«
    Irritiert über seine Widerborstigkeit, legte der Hofrat die Hand auf Karls Schulter.
    » Überleg es dir, mein Junge. Nach dem Internat in Eisenstadt kommst du aufs Konservatorium in Wien. Ich verspreche dir, du wirst eine große Karriere machen. Na, komm, schlag ein.«
    Er streckte ihm die Hand entgegen. Es war keine Hand voller Schwielen und eingerissener Fingernägel wie die des Vaters, sondern eine gepflegte Hand, blaß, mit einem Siegelring, eine Hand, die ihn der Mutter wegnehmen wollte, und plötzlich schnappte er zu, wie ein in die Enge getriebenes Tier. Der Hofrat stieß einen kleinen Schrei aus und konnte seine Hand gerade noch zurückziehen. Zugleich machte er einen so ungeschickten Hopser, daß Franziska in Gelächter ausbrach, in das, nach einer Schrecksekunde, die Mutter, Karl und schließlich auch der Hofrat einfielen.
    Von diesem Tag an wich Franziska so gut wie nicht mehr von Karls Seite. Sie hockte neben ihm am Klavier, himmelte ihn an und buhlte, wenn sie in den Anlagen und Parks herumtobten, um seine Aufmerksamkeit wie eine kleine Schwester. Es bereitete ihm Vergnügen, ihr die Umgebung des Städtchens zu zeigen, und sie revanchierte sich, indem sie ihm auf ihren Spaziergängen die Namen der Pflanzen nannte, die am Wegrand standen. Sie waren unzertrennlich, strichen über die Felder, machten sich über die Tüte Karlsbader Oblaten her, die sie beim Bäcker Bopp mit geklauten Lebensmittelmarken gekauft hatten, badeten in Bächen und ließen sich im hohen Gras, das keiner mähte, weil die Männer im Krieg waren, von der Sonne trocknen.
    Bald wich Karls anfängliche Scheu. An einem Sommertag, als sie auf den Dreikreuzberg geklettert waren, von wo aus man hinunter auf das Städtchen sah, auf die Pappelallee und den Friedhof, wo der Vater begraben lag, sprach er endlich über jenen Sommer vor drei Jahren, der so schrecklich geendet hatte. Hoch über ihren Köpfen zwitscherte eine Lerche, als wollte sie in ihrem bebenden Entzücken ihren kleinen Körper sprengen. » Hörst du? So hat sie gezwitschert, bevor dein Falke sie geschlagen hat.«
    » Das war der Tag, an dem dein Vater starb?«
    » Das war das zweite Vorzeichen, daß etwas Schlimmes passieren würde.«
    » Gab es denn noch ein anderes?«
    Karl nickte, ohne lange nachzudenken. » Damals habe ich es noch nicht erkannt, erst im Nachhinein schien es mir so.«
    » Bist du abergläubisch?«
    » Ein bißchen vielleicht. Wenn man weiß, was danach geschehen ist, bekommt alles, was davor geschah, eine andere Bedeutung. Am Abend vorher zum Beispiel…«
    » Was war am Abend vorher?«
    » … saßen der Vater und ich auf einer Uferböschung, neben der Brücke am Fluß, wo wir übernachtet haben, und ahnten noch nichts von all dem. Wir schauten den Kindern zu, wie sie von der Brücke sprangen, wie das Wasser spritzte und sie kreischten und prustend wieder an die Oberfläche kamen …«
    Franziska spürte, wie sehr er sich bemühte, die Stimmung jenes Abends heraufzubeschwören, selbst von den weißen Rindern sprach er, mit den geraden Rücken und gebeugten Köpfen, die friedlich am anderen Ufer grasten, während im Osten schon die Nacht heraufzog.
    » …er spielte auf seiner Geige. Aber plötzlich hörte er auf zu spielen. Er drehte den Kopf und sagte immer nur: › So hör doch, so hör doch.‹ Ich hörte aber nur das Geschrei der Kinder und das Zirpen der Grillen. Er rannte auf die Brücke, und da hörte ich es auch: ein vielstimmiger Gesang aus hellen Frauen- und Kinderkehlen, und der Vater winkte mit den Armen und rief immer wieder: › Zinganas, Zinganas‹, und ich rannte zu ihm auf die Brücke. Um die Flußbiegung kamen Flöße mit brennenden Fackeln, und Reiter begleiteten sie auf den gestampften Treidelwegen rechts und links vom Fluß. Es waren braune Gestalten mit schmutzigweißen Hosen, die auf kleinen Pferden ritten, ohne Sattel und Decke. Ihre Felljacken waren mit farbigen Zeichen bestickt, und sie lenkten ihre Tiere ohne Zügel und Halfter, nur mit den Schenkeln und einem Strick. Und alle sangen sie ein Lied, das ich nicht verstand. Das ging so…« Und er fing an zu singen. »› Manzanicas coloradas, las que vienen de Stambol‹…« Der Wind riß ihm die Töne von den Lippen, indes Franziska in das Lied einstimmte.
    »› Äpfelchen, die roten, die kommen aus Istanbul…‹ Das ist ein altes

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