Augenblick der Ewigkeit - Roman
Vorhang verdeckt war. Etwas Blinkendes und Raschelndes war dahinter. Franziska trat näher. Da wurde der Vorhang in die Höhe gezogen und gab den Blick frei auf ein in die Tiefe gestaffeltes Bühnenbild. Franziska blickte in einen festlichen Saal mit hohen Säulen rechts und links. Im Hintergrund führte eine gläserne Tür hinaus in einen mondbeschienenen Garten.
Ein Hochzeitszug kam aus den Seitenkulissen, ein bunter Haufen spannenlanger Gliederpuppen: Jäger mit Jagdhörnern und Büchsen, Gerichtsdiener mit weißen Perücken und Schreibutensilien, Bauern und Bäuerinnen in Festtagsgewändern. Dann folgten die Brautjungfern. Sie trugen einen mit weißen Federn geschmückten Brauthut, andere hielten den Schleier, wieder andere die Handschuhe und einen Blumenstrauß. Als letztes kamen die Musikanten, angeführt von einem Kapellmeister. Er trug eine gepuderte Perücke mit einer kleinen schwarzen Schleife im Zopf und unter dem roten Samtmäntelchen eine bestickte Weste. Über seine weißen Strümpfe fiel eine Kniehose aus schwarzer Seide, und seine Füße steckten in lackierten Schnallenschuhen. In der Hand hielt er einen polierten Stab, mit dem er die Kapelle dirigierte.
Als Franziska hinter die Bühne linste, sah sie auf beiden Seiten des Gestells den Hochzeitszug an Drähten und Schnüren in der Reihenfolge hängen, in der er gerade an ihr vorbeigezogen war, und daneben den Schalltrichter eines unförmigen Kurbelgrammophons, aus dem die Musik erklang. Schließlich entdeckte sie Karl unter einem schwarzen Tuch, der auf einem Tritt stand und über der kleinen Theaterwelt schwebte. Mit der rechten Hand bewegte er ein hölzernes Doppelkreuz, an dem die Arme und Beine des kleinen Kapellmeisters an dünnen Fäden hingen, während er mit der Linken die Musikkapelle führte.
» Fränzchen, komm. Du kannst mir helfen.«
Er überließ ihr das Doppelkreuz mit dem kleinen Kapellmeister, um das Grammophon aufzuziehen. Es rauschte und dauerte eine Weile, bis abermals der Hochzeitsmarsch aus dem Figaro erklang. Verzaubert von der Musik, dem geheimnisvollen Geschehen auf der Bühne und benommen von den Düften, die den gelagerten Hölzern entströmten, erfaßte sie ein Schwindel, und für einen Augenblick glaubte Franziska, Karl selber unter der Mozart-Perücke und in dem roten Samtmäntelchen als Kapellmeister vor dem Marionettenorchester stehen zu sehen.
Sie rieb sich die Augen. Vielleicht bildete sie sich das nur ein, oder ihre Phantasie spielte ihr einen Streich. Aber sie erkannte ihn, ganz deutlich sogar. Seine Arme hingen an unsichtbaren Schnüren und bewegten sich im Takt des Hochzeitsmarsches auf und nieder, als würde ein Vogeljunges mit den Flügeln schlagen, zu schwach, sich in die Lüfte zu erheben. Ihre Lippen berührten fast sein Gesicht, und sie flüsterte in sein Ohr: » Der Kapellmeister sieht aus wie du!«
» Papa hat ihn für mich geschnitzt. Ich hab ihm Modell gesessen. Gefällt er dir?«
Franziska nickte heftig.
» Ich schenk ihn dir. Willst du…«
Doch ehe sie die Puppe von ihren Fäden befreien konnten, hörten sie die Stimme der Mutter.
» Karel, ich muß mit dir reden.«
Erschrocken fuhren die Kinder auseinander. Bedrohlich standen ihr dunkler Schatten und der des Hofrats in der Tür. Mit gesenktem Kopf, als wüsste er, was ihm bevorstand, trat Karl vors Bühnenportal. Die Mutter kniete nieder und legte ihren Arm um ihn. » Wir müssen bald sehr tapfer sein, hörst du, mein Karel.«
Karl vergrub den Kopf an ihrer Schulter, um seine Tränen zu verbergen. » Ich weiß, Mama, ich habe gehört, was er dir vorgeschlagen hat. Aber ich will bei dir bleiben, wie der Vater es gewollt hat.«
Er blinzelte zum Schreinertisch hinüber, an dem der Vater in seiner blauen Arbeitsschürze gesessen und gearbeitet hatte. Die Mutter strich ihm übers Haar. » Es ist zu deinem Besten, mein Liebling, jetzt, wo er tot ist. Hofrat Wertheimer wird dich nach Wien mitnehmen.«
» Karl kommt wie ein eigener Sohn in unser Haus, nicht wahr, Franziska?«
Franziska konnte nicht verstehen, warum Karl so verzweifelt war. Sie zupfte ihn am Ärmel. » Ich bin doch auch da.«
Die Mutter wischte Karl die Tränen vom Gesicht. » Und selbst der Großvater meint, es wäre besser für dich, damit du nicht so ein Hallodri würdest wie dein Vater.«
» Und du, Mama?«
» Auch ich will, daß du mit ihm gehst.« Sie ließ ihn los und gab ihm einen Klaps.«Das würde auch dein Vater wollen.«
Karl blickte hilflos in das Gesicht der
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